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„Kunst der Politik“

■ betr.: „Blamierte Medien“ (Höchststrafe im Solinger Mord prozeß), taz vom 14./15. 10. 95

Walter Jakobs vertritt zum Schluß seines Kommentars den Standpunkt, daß sich die Frage, wie der tödliche Ausländerhaß in die Köpfe gelangt, einer einfachen Beantwortung entzieht. Wirklich?

Erfahrungsgemäß gehört es seit jeher zur „Kunst der Politik“, einfache Parolen sehr schnell und stets wiederholend unter das Volk zu bringen, um gezielt psychologisch die Zustimmung vorzubereiten zur Durchsetzung des gewünschten politischen Ziels – besonders im letzten Jahrzehnt ohne Bedenken von Mißverständnissen und den damit verbundenen verheerenden Folgen. Erinnern wir uns, wer im Auftrag der Bundesregierung ständig die Parole im Zuge der Asylrechtsdebatte wiederholt hat, „Das Boot ist voll!“. Die wohl vorbereitete psychologische Bearbeitung deutschen Gemüts, mit der sich CDU und CSU immer Ihre Erfolge gesichert haben, brachte die Wirkung, und es ertönte ohne rechtzeitiges politisches Gegensteuern die weitere Parole „Ausländer raus!“. Danach brannten Asylbewerberheime, dann türkische Häuser, schließlich wurden jüdische Grabsteine beschmiert und Gedenkstätten verwüstet, parallel dazu ausländisch aussehende Menschen überfallen, gejagt und blutig niedergeschlagen – bis heute!

Als nach Rostock, Hoyerswerda das Haus in Solingen angezündet und die türkische Familie darin verbrannte, hatte Bundeskanzler Kohl nichts Wichtigeres zu tun, in Berlin den Berliner Dom einzuweihen, anstatt nach Solingen zu fahren und damit gegenüber der ausländischen und auch deutschen Bevölkerung ein deutliches Zeichen gegen diese Verbrechen zu setzen.

Ist das bereits vergessen?

Die bedenkenlosen Brandstifter und Schreibtischtäter um diesen unmoralischen und scheinheiligen Bundeskanzler sitzen und regieren immer noch in Bonn und maßen sich an, mit Hilfe der Massenarbeitslosigkeit der gesamten Bevölkerung weiter ihre Werte aufzudrücken, eine andere Republik zu schaffen und stets mit dem Finger auf andere oder Einzeltäter als Schuldige zu zeigen. Annelies Jurkuns, Berlin

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