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Kunst-Autismus

■ Performance im Querhaus

»Freiheit aus meiner Kehle« ist der Titel eines Kunstprojekts unter dem die drei Frauen Ulrike Bock, Mona Setter und Brigitta Sgier in den Kellerräumen des »Querhauses« in Kreuzberg verschiedene Räume gestaltet haben. Laut Programm haben wahre Großkünstlerinnen diese choreographische Ausstellung gemacht: eine Dichterin für Bild und Wort, eine Regisseurin für Audio/Video/Optik und eine Komponistin für Ton und Bild.

Nach dem Eintritt in den Keller fällt der erste Blick auf eine Videoprojektion: zwei Frauen kommen den Zuschauern in einer weiten Strandlandschaft entgegen. Davor liegt aufgebahrt wie Schneewittchen ein in weiße Laken gehülltes Mädchen mit roten Lippen und blonden Haaren. Auf dem Boden des Raums bilden Torf und Mehl Ornamente, deren Form an Gitter oder Kreuze erinnert. Die Zuschauer können frei den Gang entlangschlendern und in die nächsten Räume schauen: rechts steht Ulrike Bock im rosa Kleid bis zu den Knöcheln in weißen Federn und bewegt ihre angewinkelten Arme wie ein zum Flug ansetzender Vogel.

Dann kommt ein Zimmer auf dessen mit Salz bedecktem Boden einzelne Fußspuren zu erkennen sind. Im vierten Raum steht Brigitta Sgier auf einer dicken Schicht Mehl mit den Händen vor dem Gesicht gebeugt in einer Ecke. Beide Frauen bewegen sich etwa eine halbe Stunde lang nach einer genau festgelegten Choreographie, deren Abläufe sich ständig wiederholen und die von einer Toncollage strukturiert wird: auf einer Querflöte wird die C-Dur Tonleiter rauf und runter gespielt und mit Geräuschen von tropfendem Wasser, Flugzeugen und Stimmen gemischt.

Die märchenhafte Stimmung und die harmonischen Bewegungen wechseln abrupt als der Flugzeuglärm ertönt: die Frauen stellen sich in die Mitte ihrer Räume und heben die Hand zum Hitlergruß. Auch auf dem Video erscheint eine Frau mit Hitlergruß. Keine einzige Bewegung eröffnet die Kommunikation unter den Frauen oder zwischen den Frauen und den Zuschauern. Sie überschreiten die Schwellen ihrer Räume nicht und haben keine Sprache. Autistisch, den leeren Blick auf einen imaginären Punkt gerichtet, verharren sie in ihren festgelegten Posen und beginnen den Bewegungsablauf immer wieder von neuem.

Nachdem die Wirkung der Bilder nachläßt, entsteht der Eindruck einer diffusen narzistischen Selbstbespiegelung. Die von den Künstlerinnen intendierte Aussage »Frauen leben permanent im Krieg oder im Exil« ist zu pauschal und aufgrund des Vorgeführten nur schwer nachvollziehbar.

Auch ein historisch situiertes Symbol wie der Hitlergruß schafft in diesem Zusammenhang kaum neue ungewohnte Sichtweisen oder Einsichten. Trotzdem bleibt dieses Bild in der Erinnerung: die fanatischen und gleichzeitig leeren Augen beim Hitlergruß zeigen schlagartig die Verknüpfung von Tätern und Opfern auf.

Heute und in den nächsten zwei Wochen (15. und 22.2.) werden die Räume jeweils neugestaltet und Freitagsabends eröffnet.

An den folgenden Tagen können von 13 bis 18 Uhr die »Spuren«, d.h. die gestalteten Räume mit Videoprojektion und Toncollage, aber ohne die agierenden Künstlerinnen besichtigt werden. Der Keller ist gut beheizt. schü

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