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Kung Fu–Action am Fuße der Schwäbischen Alb

■ Das Spezialeinsatzkommando (SEK) Baden–Württemberg feiert zehnjähriges Jubiläum / Quietschende Pneus und staubige Hosen im Kampf gegen den „Feind Terrorismus“ / Innenminister und Polizeipräsident spenden begeistert Beifall

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Drei Mittelklassewagen jagen mit heulenden Motoren den Berg hinauf. Kaum oben, beginnt der zweite, ein Daimler, auf der schmalen Straße auch noch zu überholen, rast an dem vor ihm fahrenden Audi vorbei, dann quietschen Reifen, Qualm steigt auf, es stinkt nach Gummi, die Kolonne steht. Aus dem ersten und dritten Wagen springen Männer, werfen sich auf den Boden, Pistolen und MP im Anschlag: „Polizei, keine Bewegung, Hände über den Kopf, kommen Sie heraus.“ Der Fahrer des zweiten Wagens hat sich, Beine breit, an sein Auto gelehnt, wird zu Boden gerissen und auf den Bauch gedreht, dann schnappen die Handschellen zu. Wieder ist ein terroristischer Gewalttäter gefaßt, ohne daß ein einziger Schuß gefallen wäre. Ganz hinten auf dem Göppinger Rigi beginnt die Sonne die Herbstnebel von der Schwäbischen Alb zu putzen. Die Männer auf der Straße klopfen sich den Staub von Jeans und Lederjacke. Übung beendet, dröhnt es aus einem Lautsprecher, drahtlos hat es der Einsatzleiter in sein Mikrofon gesprochen. Großkampftag gegen den imaginären Feind; die 65 Beamten des baden–württembergischen SEK feiern zehnjähriges Jubiläum. Ort: das Übungsgelände der BePos (Bereitschaftspolizei) im schwäbischen Göppingen. Beifall und anerkennende Worte von Landesinnenminister Dietmar Schlee, Polizeipräsident Alfred Stümper und der Stuttgarter Lan despressekonferenz. In zehn Jahren und 1.592 oft gefahrvollen Einsätzen in der Bekämpfung von Schwerstkriminalität und Terrorismus hätten sich die drahtigen, grimmig blickenden jungen Männer des SEK bestens bewährt. Auslöser für die Aufstellung der Truppe inclusive Präzisionsschützen war der Überfall von Palästinensern 1972 auf die Olympischen Spiele in München. Zum Einsatz kamen die Supercops bisher neben der Beerdigung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vor allem an den vermeintlichen Brutstätten schwerkrimineller oder terroristischer Aktivität - in Wackersdorf, Brokdorf, Startbahn West, Neckarwestheim und Hasselbach. Freiburger Hausbesetzer erlebten die durchtrainierten SEK–Beamten beim Kampf ums Dreisameck und den Schwarzwaldhof jahrelang als persönliche Gegner. Einzig ein „gefährlicher Straftäter“ hatte, eine Pistole im Gürtel und auf der Flucht, den Einsatz der SEK–Beamten nicht überlebt, er wurde erschossen. Doch die Beamten wollten, nach strengen Ausleseverfahren und fünfmonatiger Ausbildung, demonstrieren, wozu unbedingte Leistungsbereitschaft und körperlicher Einsatz befähigen. Da rasen schon wieder zwei Autos den Rigi hinauf, da stehen zwei andere ineinander verkeilt, Rauchkerzen und ein gezielt plaziertes Unfallscherbenset machen die Szene glaubhaft, der Straftäter oder Terrorist bremst, und - hat wohl zum letzten Mal Mitleid mit einem Unfall opfer gehabt. In der nächsten Szene schleudert es, daß kein Pneu kalt bleibt. Wieder ist es ein Terrorist, der versucht, den Fahr zeugkonvoi einer „ranghohen Persönlichkeit“ zu stoppen, und wieder sind die Beamten schneller. Der Wagen des Schutzbefohlenen wendet, die Beamten liegen schon auf dem Bauch und feuern, und der Terrorist, dumm wie er ist, steht noch immer schutzlos auf freiem Feld: Die Szene erinnert fatal an Bilder von vorgestern, an die Entführung von Hanns Martin Schleyer. Auf solche Aktionen scheint man jetzt, neun Jahre später, vorbereitet zu sein. Was aber, wenn man wie Dieter S., mit schütterem Haar zwar, doch strotzend vor Tatendrang, nach neun Jahren Dienst die Altersgrenze beim SEK überschritten hat, Abenteuer, Sport und Kameradschaft mit dem Dienst am Schreibtisch vertauscht werden muß? 20 Göppinger SEK–Beamten geht es ähnlich. Allein zehn haben gutbezahlte vergleichbare Jobs in der „freien Wirtschaft“ gefunden, ein paar sind in einem Polizeidienst untergekommen, den es offiziell bisher noch gar nicht gibt: Sie arbeiten mit neuer Legende als verdeckte Ermittler (Under Cover Agent). Der Göppinger Dienst, eine Truppe neuer Helden, vergleichbar der GSG 9, soll weiter aufgerüstet werden. Man ist stolz, daß auch die Supercops anderer Länder hierher zur Ausbildung kommen, Erfahrungen werden ohne Einmischung von Politikern bei jährlichen Treffen ausgetauscht. Welche Konsequenzen denn aus aus einem Anschlag wie den auf Gerold von Braunmühl gezogen würden, will ein Journalist wissen. Doch davon steht nichts im Übungshandbuch der SEK, und so etwas würde auch nicht bekanntgegeben, beschied der Minister.

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