Kulturgeschichte: Die untreue Frau des Schmieds
Der antiken Aphrodite - Liebesgöttin sowie Beschützerin von Bergleuten und Prostituierten - gilt eine Schau im Hildesheim, die sich aus Fundstücken aus Zypern speist. Aktuelle Probleme des antiken "Vielvölkerstaats" sparen die Organisatoren allerdings aus.
Vollmilch oder Zartbitter - im Museumsshop gibt es "Aphrodite zum Anbeißen". 2,99 Euro kostet der essbare Bilderrahmen, der die aus weißer Schokolade und Marzipan geformte Liebesgöttin zeigt. Zumindest Zartbesaitete könnten den süßen Liebesersatz nach dem Besuch der aktuellen Ausstellung im Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum nötig haben. Denn brutal und blutrünstig ging es zu, damals in der Antike auf Zypern.
Zur Legendenbildung: Der Titan Kronos schneidet seinem Vater Uranos die Geschlechtsteile ab - wohl, weil Väterchen es im Liebesleben gar zu toll getrieben hatte - und wirft sie ins Meer. Aus Uranos Samen und Blut entsteht Aphrodite, die dem Schaum der Gischt entsteigt. Die "Schaumgeborene" heißt Aphrodite beim Dichter Hesiod.
Bei Paphos auf Zypern soll die Aphrodite an Land gegangen sein. Genau dort fanden Taucher im vergangenen Jahrhundert einen 85 Zentimeter großen Marmor-Torso im Meer. Mit etwas Phantasie ist zu erkennen: Der Torso zeigt die Liebesgöttin in Bewegung - beim Auswringen ihres nassen Haares. Die Leihgabe aus dem Louvre steht im Zentrum der Hildesheimer Schau und wird geschickt in Szene gesetzt: Der Raum leuchtet blau wie das Meer, die Statue umweht ein transparenter Vorhang, der den natürlichen Weichzeichner-Effekt noch unterstützt: Das Meer hat den Marmor über die Jahrtausende glattgeschliffen.
Aphrodite war als Liebesgöttin auch die Beschützerin der Prostituierten. Die Frauen arbeiteten häufig im Tempel. Überliefert ist, dass in Palaepaphos jedes Jahr ein rauschendes Fest gefeiert wurde. "Die orgiastischen Feste fanden nachts statt", sagt Maria Hadjicosti, Direktorin des Department of Antiquities auf Zypern. Dass es für die Tempelprostituierten viele Schattenseiten gab, dürfte auf der Hand liegen - in der Ausstellung sind sie kein Thema. Bei Führungen erfährt der Besucher aber, dass eheliche Treue Aphrodites Sache nicht war: Ihrem Mann Hephaistos setzte sie regelmäßig Hörner auf. Doch Hephaistos, der Schmied, brauchte Aphrodite, war sie doch auch Schutzpatronin der Bergleute. Zypern war wegen seiner Kupfervorkommen reich, der Rohstoff begehrt in Griechenland, Anatolien, Ägypten und im Nahen Osten, um daraus mit Zinn das sehr viel härtere Bronze herzustellen.
Die antiken Kupfererz-Stollen auf Zypern reichten bis zu 200 Meter tief in das Troodos-Gebirge. Die Arbeitsbedingungen müssen extrem gewesen sein. Die Ausstellung zeigt die schillernden Ergebnisse der Schinderei: In einem düsteren Gang sind prächtige Kunstwerke ausgestellt. Besonders eindrucksvoll: ein wuchtiger Bronzekessel, aus dem Greifvögel und Sirenen ihre Hälse recken. Begehrt war zyprisches Kupfer in erster Linie aber für die Waffenproduktion. Kupfervorkommen und dessen geographische Lage machten Zypern zu einem Knotenpunkt zwischen Orient und Okzident. Sowohl Siedler als auch Eroberer zog es auf die Insel: Perser, Ägypter, Griechen, Phönizier. Ein Vielvölkerstaat entstand - eine "multi-kulturelle Gesellschaft", wie es in der Broschüre zur Ausstellung heißt.
Multi-Kulti auf Zypern? Und der aktuelle Zypern-Konflikt? Eine Insel, geteilt in einen griechischen und einen türkischen Teil? Über die aktuelle politische Lage der Insel schweigt sich die Broschüre aus. Warum auch nicht? In Hildesheim geht es um Kunst und Schönheit - und um die "Verstärkung der zwischenstaatlichen Beziehungen" zu Deutschland, meint Demetris Christofias, Präsident der vor 50 Jahren gegründeten Republik Zypern - also des griechisch geprägten Südzypern. Nicht zuletzt den Tourismus dürfte Christofias dabei im Auge haben. Eine Broschüre wirbt in Hildesheim für "Archäologische Stätten und Monumente Zyperns" und einen Besuch - in Südzypern. Und dann verteilt der Präsident noch einen Seitenhieb: in Nordzypern, das unter türkischer "Militärherrschaft" stehe, werde das kulturelle Erbe weiterhin zerstört, sagt er.
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