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Kulturgeschichte der SchaukelVon Enthemmung und Göttersitzen

Wer schaukelt, ist leicht, frei - und vielleicht sogar subversiv. All das ist auch eine Ausstellung zum Thema, die nun in Hamburg gezeigt wird. Allerdings eher aus Versehen.

Schaukeln: nicht leicht, darüber zu schreiben, ohne sentimental zu werden. Groß ist die Versuchung, das Freiheits-Klischee zu bemühen und sich damit geradewegs ins 18., 19. Jahrhundert zu begeben, als Künstler das Motiv entdeckten. Andererseits finden sich noch in den 1960er Jahren Fotos, die Paare auf Hollywood-Schaukeln zeigen und für Sekt werben. Ganz erloschen ist der Reiz des Schaukelns nie - dabei war die Schaukel in der Antike eine ernste, gar religiöse Angelegenheit. In Indien hat selbst Gott Krishna geschaukelt, und so galt eine leere Schaukel noch als Sitz der Götter.

Die Ausstellung "Verschaukelt!", die nun das Altonaer Museum in Hamburg zeigt, hat markante Beispiele versammelt - und musste doch Abstriche machen: Eigentlich hatte das Haus eine große "Kulturgeschichte des Schaukelns" versprochen, von der Antike bis zur Gegenwart sollte die reichen und 7.000 Quadratmeter umfassen. Dann brachte ein neuer städtischer Haushalt beträchtliche Sparzwänge, zeitweise war der Bestand des ganzen Museums in Gefahr. Und so ist "Verschaukelt" eine Kabinettsausstellung. Leider haben die Macher all das auch auf eine einführende Ausstellungstafel geschrieben - und auch wenn sie recht haben, wirkt die Klage über fehlendes Geld etwa für Bilderrahmen doch recht larmoyant. Zumal doch das Thema Leichtigkeit suggeriert: Da will man Witziges - und niemanden, der Klagelieder singt.

Was nun gezeigt wird, stammt durchweg aus der 7.000 Stücke umfassenden Sammlung Ute Prottes, die das Museum 2007 geschenkt bekam. Sie umfasst neben Schaukeln auch Wippen, Kinderbücher, Holzstiche, Rokoko-Porzellanfiguren - kurz: eine bunte Mischung thematisch gesammelter Stücke. Da hätte seitens der Aussteller eine ordnende Hand eingreifen sollen.

Das allerdings geschah nur halb: Wohl wurden thematische Blöcke erstellt, etwa zur physischen und psychischen Wirkung des Schaukelns oder zu seiner Erotik. Die Erklärungen aber bleiben oft flach.

Ein Stück echter Kulturgeschichte knüpft sich an die Wellenbadschaukeln, die ab 1850 aufkamen, als das Badebedürfnis rascher wuchs als die Zahl öffentlicher Badehäuser, und daher schaukelnde Haus-Wannen in Mode kamen. So recht gemütlich wirken sie nicht, eher wie nach oben offene Kernspin-Röhren - aber damals waren sie Luxus pur.

Und dann hat das Thema auch noch seine subversiven Facetten: Die Freizügigkeit der Rokoko-Bilder, auf denen junge Männer schaukelnde junge Frauen anstoßen, war nicht der einzige Ausbruch aus biederbürgerlichem Korsett, Effi Briests Schaukeln nicht der Höhepunkt. Eigentlich hätten zeitgenössische Politiker auch Erwachsenen das Schaukeln verbieten müssen - denn wer weiß, auf welche Gedanken der Mensch dabei kommt?

Am besten begriffen das wohl die Verfasser pädagogischer Kinderbücher: des Zappelphilipp etwa, der nun im Altonaer Museum ausliegt und ein doch recht dramatisches Bild von den Gefahren des Schaukelns zeichnet: Chaos, Störung, Entgrenzung, ja Enthemmung.

Diesen Gedanken weiterzudenken, das Schaukeln mithin auch als Politikum zu begreifen, haben die Kuratoren nicht gewagt. Gerade aber, als der Betrachter fast schon ein bisschen enttäuscht ist über dieses Haltmachen auf halbem Wege, überrascht ihn "Verschaukelt!" doch noch: Auf dem Weg zum Ausgang hängen neben der Treppe Fotos mit Hamburger Polit-Persönlichkeiten, Ex-Kultursenatorin Karin von Welck zum Beispiel, Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und SPD-Chef Olaf Scholz.

Keiner von ihnen hat sich im Flug ablichten lassen, schon gar nicht im freien Fall. Vielmehr lächeln sie alle gequält und bleiben gesittet am Boden. Und gerade diese Weigerung, wirklich abzuheben, adelt das Schaukeln als Akt der Subversion.

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1 Kommentar

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  • W
    wintersonne

    Im wahrsten Sinne verschaukelt fühle ich mich als Besucher der Ausstellung durch diesen Bericht. Kritischen Anmerkungen oder Ergänzungen befördern den Diskurs, aber die Autorin Petra Schellen scheint schlecht recherchiert zu haben. Der Text mit den Hinweisen zur Sparpolitik stellt doch kein Klagelied dar, sondern gibt Informationen. Wie kann man bemängeln, dass der Aspekt des Politischen zu kurz kommt, wenn die Besucher angeblich Witziges erwarten? Es sei, Frau Schellen empfindet die Politik als witziges Unternehmen. Die angeblichen 7.000 qm Ausstellungsfläche mögen dem Tippfehlerteufel geschuldet sein, angepeilt waren 7.00 qm. Aber, dass die Ausstellungsstücke durchweg aus der Sammlung Protte stammen sollen, zeigt, dass Frau Schellen nur mit „verbundenen Augen“ dort gewesen sein kann. Zahlreiche Exemplare aus dem Altonaer Museum bzw. dem H2O Museum in Berlin konnte ich ohne viel Mühen entdecken. Zukünftig lieber besser hinschauen Frau Schellen, sonst schaukeln Sie nicht mehr, sondern befinden sich im freien Absturz.