Kulturförderung: Eine Republik für die Wirtschaft
Die Werbebranche trifft sich in dieser Woche im Oberhafenquartier. Eine Großveranstaltung, finanziert von der Stadt. Stadtentwickler lehnen sie ab.
Das Hamburger Oberhafenquartier, zwischen den modernen Gebäuden der Hafen City und dem alten Großmarktareal, bekam von Kulturschaffenden bisher nicht viel Aufmerksamkeit. Der Senat will das nun ändern. In der direkten Nachbarschaft zur windschiefen Oberhafenkantine sollen künftig in den Lagerhallen und auf den stillgelegten Gleisen „einzigartige dauerhafte Nutzungspotenziale für kulturwirtschaftliche und kreative Milieus“ entstehen, so die städtische Entwicklungsgesellschaft Hafen City Hamburg GmbH.
Um dies zu erreichen, unterstützt die Stadt Hamburg zunächst die deutsche Dachorganisation der Werbe- und Kommunikationsbranche, dem Art Director’s Club (ADC), mit Einnahmen aus der Kulturtaxe. 150.000 Euro bekommen die Werber, um im Oberhafenquartier vom 14. bis zum 18. Mai ihr jährliches Festival auszurichten.
Der Club erwartet 11.000 Besucher, die sich an den vier Festivaltagen dort auf Ausstellungen und Kongressen treffen sollen. „Der unfertige Charakter des Oberhafens passt wunderbar zum ADC, denn er bietet Raum für Ideen“, erklärt dessen Geschäftsführer Stefan Preussler. Das Branchenfest findet zum ersten Mal in Hamburg statt. Der Club prämiert hier besonders gelungene Werbekampagnen des vergangenen Jahres.
Gegründet wurde der Oberhafen-Verein 2012. Er hat knapp 40 Mitglieder.
Zusammen mit der Stadt arbeiten sie an einem Konzept für die 9000 Quadratmeter Fläche, die bis Ende des Jahres im Oberhafen frei werden.
Ziel des Vereins ist eine nachhaltige Entwicklung des "Kreativquartiers Oberhafen". Wichtige Vorrausetzungen hierfür seien niedrige Mieten und ein geringer städtischer Einfluss auf die Nutzer der Räume.
Sein Gesamtkonzept will der Verein in öffentlichen Workshops entwickeln, um so die Entstehung einer Gemeinschaft unter den zukünftigen Nutzern zu fördern.
Der Grund für die städtische Finanzierung der Werbewirtschaft sei die große Reichweite des Festivals und dessen positive wirtschaftliche Auswirkung auf den Kreativsektor in Hamburg, antwortete der Senat auf eine Anfrage der Grünen. Der Oberhafen rücke so stärker in die öffentliche Wahrnehmung.
Das Oberhafenquartier als Schauplatz für die Kampagnen der etablierten Werber – diese Strategie der Stadt ist für Ullrich Bildstein, Gründungsmitglied des Oberhafen e.V., ein „Etikettenschwindel“. Sein Verein setzt sich seit einem Jahr für die nachhaltige Entwicklung des geplanten Kreativquartiers ein. Den rund 40 Mitgliedern stößt besonders das Motto des Club-Festivals, „Republik Neuland“, bitter auf. Sebastian Libbert, Restaurantbesitzer der Oberhafenkantine, fragt: „Wie kann der ADC sich hinstellen und sagen, wir erfinden jetzt die Republik Neuland, wo es doch Menschen gibt, die sich sogar schon lange vor dem Oberhafen e.V. Gedanken um eine Entwicklung des Oberhafens gemacht haben?“
Bildstein sagt: „Die bedienen sich unserer Vorarbeit und nutzen es für ihre kommerziellen Zwecke.“
ADC-Geschäftsführer Preussler sagt, das Festival sei auf den Charakter des Oberhafens zugeschnitten. Man wolle diesen nicht verändern oder jemanden an den Rand drängen. Schon gar nicht „gute kreative Ideen und Menschen, die diese realisieren“.
Bildstein sagt, die Kulturpolitik sei blauäugig, wenn sie denke, dass das Oberhafenquartier von solchen Festivals profitiere. So gebe es etwa keine Ressourcen für eine bleibende Infrastruktur oder für ein kulturelles Begleitprogramm. Wenn die Werbeleute gingen, würden sie nichts im Oberhafen hinterlassen.
Bildsteins Verein hat bisher kein Geld vom Senat erhalten. Für ihren Sitzungsraum zahlen die Mitglieder der Stadt Miete. Unterstützung erhält Bildstein von anderen: Am 19. Mai veranstaltet der Golden Pudel Club ein Open-Air-Konzert unter dem Motto „Republik Kackland“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken