Kulturen-Konferenz: Neukölln ist nicht die Bronx
Kann man New York und Berlin miteinander vergleichen? Die Tagung "Kulturelle Vielfalt in urbanen Räumen" versuchte es. Eine Diskussion mit vielen Sackgassen.
W ie jedes Kind weiß, bringt der Vergleich von Äpfeln und Birnen nichts ein. Er sollte sich also auch im Fall von New York und Berlin von selbst verbieten. Wären diese Städte Früchte, dann läge Berlin neben dem big apple nämlich als ziemlich kleine Birne im Obstkorb. "New York - Berlin. Kulturelle Vielfalt in urbanen Räumen", so lautete dessen ungeachtet der Titel einer Konferenz, die am vergangenen Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand. Sie fasste den an sich schon überflüssigen Städtevergleich unter dem nicht weniger unergiebigen Aspekt der Migration ins Auge.
Erstaunlich, dass sich die Veranstalter, zu denen neben dem Haus der Kulturen auch das an der Technischen Universität angesiedelte "Center for Metropolitan Studies" gehörte, dabei nicht schon von banalen historischen Voraussetzungen hatten beirren lassen: Haben doch Afroamerikaner in Harlem ihre Wurzeln in einer jahrhundertealten Migrationsgeschichte, während türkische Zuwanderer in Kreuzberg und Neukölln erst ein Phänomen der vergangenen Jahrzehnte sind. Wie sollte man hier sinnvoll von der ersten, zweiten, dritten Einwanderergeneration sprechen, wo konnten die synchronen Schnitte verlaufen, die einen Vergleich strukturieren? Die Ethnologin Nevim Çil berichtete von der Verunsicherung Westberliner Türken durch die Wiedervereinigung - aber hat dieses Datum auch eine Entsprechung in der Geschichte des multiethnischen Miteinanders in New York?
Beinahe alle diskutierten Beispiele führten in diese Sackgasse und zu ratlosem Schulterzucken bei den versammelten Politologen, Soziologen, Kulturwissenschaftlern, Architekturtheoretikern und Aktivisten. Dabei waren einzelne Beiträge für sich genommen nicht gänzlich uninteressant. So die Ausführungen von Mark Naison, einem New Yorker Professor für afroamerikanische Studien, der von dem produktiven Einfluss berichtete, den staatlich subventionierte Wohnprojekte in der South Bronx auf musikalische Innovationen hatten. Als nämlich die Weißen allmählich ganze Viertel verließen und Afroamerikaner und Latinos Tür an Tür in günstigen Apartments wohnten, trafen sich Herbie Hancock und Mongo Santamaria, um die Musikgeschichte durch die Kreuzung von schwarzem Jazz mit karibischen Rhythmen voranzubringen. Hiphop und damit die weltweit maßgebliche Musiksprache der Marginalisierten, so Naison, wäre ohne diese Kreuzung nicht möglich gewesen. Wie sich die Erfindung des Doo Wop zu Ende der Fünfzigerjahre präzise auf dem New Yorker Stadtplan verorten lässt, welche Rolle einzelne Brücken über den East und Hudson River auf das Zusammenwachsen künstlerisch fruchtbarer Neighborhoods hatten, wo genau die jeweils wichtigsten Musiker ihrer Zeit wohnten, so dass sich ihre Wege kreuzten - Naisons Verschränkung von städtischer Wohnraumpolitik mit der Mikromigration von Künstlern machte überzeugend die Verantwortung eines Gemeinwesens für sein kulturelles Kapital deutlich.
Was aber, so fragte sich im Anschluss Andreas Freudenberg, der in Berlin den Karneval der Kulturen initiiert hat, sagt das über die Situation in Berlin? Der Vergleich mit New York, so klagte Freudenberg, funktioniert einfach nicht, und er monierte zudem, dass Berlin schon im deutschen Maßstab nicht einmal das beste Beispiel zur Diskussion von Migrationsfragen sei. Schließlich weist die Population der Hauptstadt einen vergleichsweise geringen Anteil von Migranten auf. Sollte man daher nicht lieber über die angespannte Lage in Stuttgart sprechen? Oder aber die Sache so allgemein wie möglich halten?
Diesen Weg schlug zumindest der Eröffnungsvortrag des 80-jährigen Peter Marcuse ein, der nicht nur der Sohn eines berühmten Vaters, sondern auch Professor für Stadtplanung an der Columbia University ist. In kindgerechter Schlichtheit erläuterte er neun Powerpointgrafiken, um die "Dynamiken der Stadt" anschaulich zu machen. Vom Getto zur Enklave und vom Quartier zur gentrifizierten Zone - so deklinierte Marcuse die einzelnen Stadien urbaner Entmischung durch und plädierte dafür, sich nicht bloß mit den Ausgeschlossenen, also den Opfern neoliberaler Stadtplanung zu befassen, sondern vielmehr mit den Ausschließern selbst. Benennen wollte Marcuse die Strippenzieher der Exklusion aber auch auf Nachfrage nicht.
Wer der Veranstaltung bis zum bitteren Ende am dritten Tag gefolgt war - wie eine erstaunliche Anzahl langmütiger Studenten -, erlebte einen standesgemäßen Kehraus, zu dem sich der ehemalige Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann und der Urbanist Marshall Berman auf dem Podium niedergelassen hatten. "Spektakuläre Orte: Times Square und Potsdamer Platz" hätte das Thema ihres abschließenden Gesprächs sein sollen. Es passte aber zum Verlauf der Konferenz, dass das eigentliche Spektakel gleich hier im Sitzungssaal stattfand. Und das musste man dann doch gesehen haben: Wie Hans Stimmanns Diavortrag über die Geschichte des Potsdamer Platzes sabotiert wurde durch das lautstarke Schnarchen seines Gesprächspartners. Kaum dass er sein wirres Eingangsstatement vom Stapel gelassen hatte, war Marshall Berman in Morpheus Arme gesunken, und man konnte es ihm kaum verdenken. Äpfel und Birnen passen eben nicht zusammen.
Wen es auf der Suche nach Substanziellerem in den hauseigenen Buchladen verschlagen hatte, dem wird die neue Kollektion des Berliner T-Shirt-Labels "Kommode" aufgefallen sein. Die verschiedenfarbigen Hemdchen sind mit einer Freiheitsstatue bedruckt, die anstelle einer Fackel den Berliner Fernsehturm in die Höhe reckt. Im Bild funktioniert es also. Immerhin.
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