: Kultur abgesägt
EINMISCHUNG Rockmusik und Menschenrechte, das ist der Kern eines Festivals in Perm, einer russischen Stadt am Ural, das dieses Jahr abgesagt wurde
In Perm, einer russischen Millionenstadt am Ural, lädt seit 2005 das Festival „Pilorama“ (zu Deutsch: Sägewerk) auf das Gelände eines Sägewerks ein, das zu einem ehemaligen Lager für politische Gefangene gehört. Die Programmmischung aus menschenrechtlichen Diskussionsforen, Ausstellungen und Rockmusik in Zeltlageratmosphäre war den Behörden jedoch schon lange ein Dorn im Auge. Jetzt wurde das international renommierte Festival erstmals abgesagt.
Vorausgegangen war ein Konflikt zwischen der lokalen Verwaltung und den Veranstaltern, die sich gegen Einmischungs- und Zensurversuche durch die Behörden zu wehren versuchten. Nach der Weigerung der Organisatoren, bestimmte Künstler und Redner aus dem Programm zu nehmen, strich die Verwaltung kurzerhand die Hälfte der Mittel für das Festival im Juli. Auch die genehmigten Mittel waren noch nicht bei den Veranstaltern eingetroffen.
In einer ersten Reaktion fürchtete die Geschäftsführerin des Gedächtniszentrums „Perm 36“, Tatjana Kursina, durch die Absage könne der Ruf des Festivals leiden. Gleichzeitig kündigte sie an, dass man das Festival im nächsten Jahr auf jeden Fall durchführen werde. Viktor Schmyrow, Direktor des Gedächtniszentrums „Perm 36“, denkt, die Absage sei zwar ein Schlag für Perms Zivilgesellschaft, „aber er ist nicht tödlich.“
Noch nie habe man vonseiten der Behörden des Gebiets Perm so versucht, Einfluss zu nehmen, wie dieses Mal, berichtet die Menschenrechtsbeauftragte des Gebietes Perm, Tatjana Margolina. Ohne „Pilorama“, so Margolina, sei Perm nicht mehr Perm.
Die Teilnahme von zahlreichen Barden, Künstlern, Menschenrechtlern und Politikern hatte „Pilorama“ zu einem in ganz Russland einzigartigen Projekt gemacht. Und es waren in ganz Russland populäre Liedermacher wie Juli Kim oder Juri Schewtschuk von der Band DDT, die das Sägewerk von „Perm 36“ über die Grenzen von Russland hinaus bekannt gemacht und für Besucherzahlen von 10.000 Menschen gesorgt hatten. Schewtschuk gehört zu den Großen der russischen Rock-Szene. Mit seiner 1981 gegründeten Band DDT kann er in Russlands Metropolen über hunderttausend Zuhörer anziehen.
Auch wenn es im Juli dieses Jahres kein Festival „Pilorama“ geben wird, sind Veranstalter und Träger zuversichtlich, in anderer Form den Inhalt des Festivals am Leben zu erhalten. Ab Oktober will man in einer Veranstaltungsreihe zahlreiche für Ende Juli geplante Ausstellungen, Konzerte, Filmvorführungen, Diskussion und Lesungen in Einzelveranstaltungen nachholen. Zugleich soll verstärkt nach privaten Spendern für das Festival im Sommer 2014 gesucht werden, um so der Abhängigkeit von staatlichen Geldern zu entgehen.
BERNHARD CLASEN