Kultur-Koordination: Orgeln im Umland

Das Bremer Musikfest und die heute beginnenden Niedersächsischen Musiktage überlappen sich sowohl räumlich als auch zeitlich. Die Abhängigkeit von Sponsoren beeinflusst immer stärker die Konzert-Landkarte.

Optisch und akustisch eine echte Umland-Perle: Die Schnitger-Orgel in Ganderkesee. Bild: Patric Leo

Durch den Verdener Dom rauscht Beethovens "Missa Solemnis". Philippe Herreweghe, nicht nur wegen der genialen Fahrigkeit seiner Einsätze getrost als Furtwängler der "historisch informierten Aufführungspraxis" zu bezeichnen, animiert das Orchestre des Champs-Elysées und sein Collegium Vocale Gent zu Höchstleistungen. Kein Zweifel: Der Veranstalter, das Bremer Musikfest, hat Hochkarätiges ins idyllische Aller-Städtchen gebracht. Ebenso nach Emden, Aurich oder Otterndorf im Cuxhavener Land.

Das Bremer Musikfest wächst kontinuierlich ins niedersächsische Umland hinein. Dieses Jahr findet bereits die Hälfte der 36 Konzerte im erweiterten Weser/Elbe/Ems-Gebiet bis hinauf nach Wilhelmshaven statt. Selbst Spiekeroog ist mittlerweile "eingemeindet". Wie viel Bremen muss drin sein, damit "Musikfest Bremen" drauf stehen darf? Man habe diesbezüglich noch keine Unter- oder Obergrenze definiert, sagt Festival-Sprecher Carsten Preisler. Derzeit wird rund ein Drittel der niedersächsischen Fläche bespielt.

Für Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist die regionale Ausdehnung "gelebter Ausdruck des Zusammenwachsens in unserer Metropolregion". Was freilich nicht verhindert, dass es über deren angemessene finanzielle Beteiligung verschiedene Vorstellungen gibt. In seinem Nebenamt als Kultursenator hat Böhrnsen gerade die Musikfest-Zuschüsse gekürzt: Bislang zahlt Bremen 700.000 Euro, die Metropolregion ist mit 80.000 dabei. Etwa das Doppelte will Bremen nun einsparen.

Die Metropolregion, deren polypolare Konstruktion in der Betitelung "Bremen-Oldenburg im Nordwesten" zur Geltung kommt, umfasst allerdings nur einen Teil des Musikfest-Radius - und wird ohnehin zu fast einem Drittel von Bremen finanziert. Der Löwenanteil des Festival-Etats von 3,4 Millionen Euro stammt längst von Sponsoren. Die wiederum sind an Konzerten im Einzugsgebiet ihrer jeweiligen Firmensitze interessiert - das Musikfest dehnt sich in dem Maß in die Region aus, wie dort Geldgeber zu finden sind.

Andererseits ist zu beobachten, dass Sponsoren aus dem Umland zunehmend auch Konzerte in Bremen unterstützen - ein zuverlässiger Indikator für Expansionsabsichten. Der Oldenburger Energiekonzern EWE etwa, der als Erster beim Musikfest einstieg, übernahm kürzlich die früheren Bremer Stadtwerke. Die Oldenburgische Landesbank wiederum unterfüttert ihren Bremen-Slogan "Jetzt auch hier zu Hause" ebenfalls mit Konzert-Sponsoring an der Weser. Für die Leitung ihrer dortigen Niederlassung hat sie sich den kulturpolitischen Sprecher der Bremer CDU ausgesucht.

Das so entstehende finanzielle Engagement ist erfreulich. Es muss auch niemanden sehr stören, dass das Bremer Musikfest faktisch längst ein semi-niedersächsisches ist. Allerdings überlappt es sich nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich mit den heute beginnenden Niedersächsischen Musiktagen. Und innerhalb der Metropolregion gibt es durchaus Beispiele für Überschneidungen, die für das Publikum nach hinten losgingen. Die Oldenburger Ballett-Tage und das Tanz Bremen-Festival, die sich terminlich nicht recht koordinieren konnten, schrumpften zu alternierenden Biennalen. Eine Streckung auch des Musikfestes auf einen Zweijahres-Rhythmus ist von der Bremer SPD, die das dortige Kulturressort führt, wiederholt ins Gespräch gebracht worden.

Mit Konzerten in Stuhr oder Achim finden Teile der Niedersächsischen Musiktage unmittelbar vor der Bremer Haustür statt. Zum Teil nutzt das Musikfest dieselben Aufführungsorte. Immerhin ist nicht allzu viel Konkurrenz in Sachen Fundraising zu erwarten: Die Musiktage sind eine Eigenveranstaltung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung - lediglich die örtlichen Sparkassen treten als zusätzliche Sponsoren auf.

Im Konzept der beiden Festivals spiegeln sich die jeweiligen Finanzierungsstrukturen. In Bremen wurde das Musikfest lange unter dem Aspekt der Wirtschaftsförderung betrachtet; noch immer führt ein Vertreter des Wirtschaftsressorts den Vorsitz im Aufsichtsrat. Dem Musikfest gelingt die Bündelung verschiedener Interessen: Die großen Chor- und Orchesterwerke - ein Schwerpunkt des Programms - funktionieren gleichermaßen als repräsentative Events für Firmenkunden wie für ein anspruchsvolles Fachpublikum. Bei Aufführungen wie dem Verdener Beethoven und vielen anderen kommt mehr Masse und Klasse zusammen, als selbst beim Schleswig-Holstein-Musikfestival üblich.

Den Niedersachsen steht nur rund ein Drittel des Bremer 3,4 Millionen-Etats zur Verfügung - womit sie doppelt so viele Konzerte veranstalten. Viele finden in Schulen und exemplarischen Orten wie einem Harzer Landgasthof statt, in der Iberger Tropfsteinhöhle oder im Stahlwerk Georgsmarienhütte. Unter dem Motto "Das Fest" ist viel Ethno und natürlich auch Klassik zu hören, wobei die Musiktage auf besondere Settings wie Renaissance-Tänze in einer Göttinger Disco setzen oder, vergangenes Jahr, das Celler Kunstmuseum komplett verdunkeln, um dort den Hannoverschen Mädchenchor singen zu lassen. Bei meist moderaten Ticketpreisen treten viele "einheimische" Künstler auf - auch die großen NDR-Ensembles.

Die Stärke des Bremer Intendanten Thomas Albert wiederum sind konzeptionelle Ideen, die tief in der Musikgeschichte wurzeln. Mit dem dieses Jahr eingeführten Arp Schnitger-Festival hat er einen echten Umland-Coup gelandet: Als eigene Reihe innerhalb des Musikfestes widmet es sich dem aus der Wesermarsch stammenden Barock-Orgelbauer. Dessen Instrumente stehen oft in unscheinbaren Dorfkirchen, aber auch in veritablen "Bauerndomen" wie dem in Lüdingworth bei Cuxhaven. Das Bremer Musikfest, Unterabteilung Arp Schnitger, übernimmt quasi das Erbe des 2003 eingestellten Dollart-Festivals, das die ostfriesischen Orgeln ins Bewusstsein heben wollte. Über 100 Instrumente aus sieben Jahrhunderten machen Ostfriesland und Wesermarsch zu einer der dichtesten Orgellandschaften Europas, zu der Schnitger wesentlich beitrug. Für 2019 ist die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe anvisiert.

Da Klingeln zum Geschäft gehört, ernennt das Musikfest Schnitger zum "bedeutendsten Orgelbauer des Barock" - als hätte es nie eine sächsisch-elsässische Instrumentenbauer-Dynastie namens Silbermann gegeben. Doch die Verabsolutierung der norddeutschen Perspektive macht die Festival-Idee nicht weniger klug und die Konzerte auf Schnitgers Instrumenten nicht weniger eindrücklich: Selbst die Orgeln kleiner Dorfkirchen stattete Schnitger meist mit vollständigem Prinzipalchor aus. Finanziell war das möglich, weil er seinen Auftraggebern immer wieder bis zum Selbstkostenpreis entgegenkam.

Doch warum wird dieser "Stradivari unter den Orgelbauern, der Rembrandt unserer Nordwest-Region", wie Intendant Albert Schnitger bezeichnet, unter dem Label des Bremer Musikfestes gewürdigt? Historisch könnte man auf ein schlechtes Gewissen verweisen. Nicht so sehr wegen der verheerenden Kreuzzüge des Bremer Bischofs gegen die Bewohner der künftigen UNESCO-Orgellandschaft. Sondern, weil die Bremer mit ihren eigenen Schnitger-Instrumenten nicht allzu wertschätzend umgingen. Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sie die letzte ihrer einstmals neun Schnitger-Orgeln, ein immerhin 50 Register umfassendes Instrument im Dom, schnöde durch einen Neubau ersetzen.

In Verden hatte Schnitger auch nicht mehr Glück: Die von ihm dort mühselig reparierte und mit neuem Gebläse ausgestattete Hoyer-Orgel wurde durch unsachgemäße Umsetzung ruiniert. Zugegeben: Beethovens "Missa Solemnis" entwickelt auch ohne Schnitger-Gebläse ein eindrucksvolles Rauschen.

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