piwik no script img

Archiv-Artikel

„Küsse? Nein, viel Arbeit“

LINKE VEREINIGUNG

Die gemeinsame Zukunft ist rot. Wolfgang Zimmermann, Vorstand des NRW-Landesverbandes der WASG, und Ulrike Detjen, Vorsitzende der Linkspartei.PDS in NRW, geben vor den Bundesparteitagen ihrer Parteien am Wochenende das Ziel einer vereinigten „Neuen Linken“ vor: mit sozialistischer Ausrichtung in die Parlamente

INTERVIEW PASCAL BEUCKER UND KLAUS JANSEN

taz: Herr Zimmermann, glaubt man dem Verfassungsschutz, dann vereinigen Sie sich mit Linksextremisten. Haben Sie schon Angst vor Frau Detjen?

Wolfgang Zimmermann: Wie bitte? Linksextremisten?

Der NRW-Innenminister sagt, dass er den Fusionsprozess aus WASG und der „linksextremistischen“ Linkspartei genau beobachten wird – eben wegen Personen mit einer Biografie wie der von Frau Detjen.

Zimmermann: Ich halte die Linkspartei nicht für extremistisch. Es wäre besser, wenn der Verfassungsschutz sich auf die Rechtsradikalen konzentrieren würde. Ohnehin bin ich dafür, dass er ganz abgeschafft wird.

Frau Detjen, wie wird diese „neue Linke“ denn nun: extremistisch oder doch eher sozialdemokratisch, wie es Oskar Lafontaine sagt?

Ulrike Detjen: Weder noch. Ich hoffe, dass es eine sozialistische Partei wird. Und ich will, dass es eine Partei wird, die sich auch um die Anliegen von Degradierten, Ausgeschlossenen und Ausgegrenzten kümmert. Sie soll damit die Vorstellung von einer besseren Gesellschaft verbinden und das auch praktisch angehen.

Geht Ihnen so viel Sozialismus zu nicht weit, Herr Zimmermann?

Zimmermann: Mir persönlich überhaupt nicht. Ich trete auch ein für eine Partei mit einer sozialistischen Orientierung. Aber in der WASG ist das in der Tat umstritten. Auf unserem Bundesparteitag hat es eine – relativ knappe – Mehrheit gegen diesen Begriff gegeben. Überbewerten würde ich das aber nicht. Ich glaube, dass das in Nordrhein-Westfalen anders aussieht.

Wie wird der erste gemeinsame Parteitag begangen – mit sozialistischen Bruderküssen oder einem Defilee von linken Hochzeitspaaren?

Zimmermann: Küsse zwischen den Vorsitzenden? Nein, nein. Es wird ja auch offiziell keinen gemeinsamen Parteitag geben, sondern zwei getrennte, wenn auch an benachbarten Orten und mit viel Abstimmungsbedarf zwischen den Kommissionen der beiden Parteien und auch zwischen den Parteiflügeln. Es müssen die Gründungsdokumente beschlossen werden, und da muss es bei beiden Konferenzen im Wortlaut nahezu identische Formulierungen geben.

Das klingt nach harter, langweiliger Parteiarbeit. Hat die Linke die Dynamik des Aufbruchs verloren?

Detjen: Ich finde nicht, dass Dynamik verloren gegangen ist. Die Linkspartei hat 2006 in NRW 500 Mitglieder hinzu gewonnen. Das liegt sicher nicht daran, dass wir so viel toller geworden sind, sondern an der Attraktivität der kommenden neuen Partei.

Wohl mehr an den WASGlern, die Doppelmitglieder geworden sind. Stimmt es übrigens, dass die WASG bundesweit über 3.000 Karteileichen hat, die keine Beiträge mehr zahlen?

FUSIONSPARTEITAGE IN DORTMUND

Mit parallelen Bundesparteitagen an diesem Wochenende in den Dortmunder Westfalenhallen treten Linkspartei und WASG in ihre heiße Fusionsphase. Die Delegierten sollen Eckpunkte für ein künftiges Parteiprogramm, ein Parteistatut, eine Finanz- und eine Schiedsordnung für die neue Partei „Die Linke“ beschließen. Auch der Verschmelzungsvertrag steht zur Abstimmung. Nach Urabstimmungen in beiden Parteien bis Mitte Mai soll dann am 16. Juni in Berlin endgültig „Die Linke“ gegründet werden. In Nordrhein-Westfalen haben WASG und Linkspartei, zusammen nach eigenen Angaben rund 4.500 Mitglieder stark, bereits am Samstag vergangener Woche ihre Fusionsvereinbarung unterzeichnet. Sie sieht die Bildung eines Übergangsvorstands mit paritätischer Besetzung vor: Die eine Hälfte kommt aus der Linkspartei, die andere aus der WASG. Und der Vorstand wird – entgegen eines umstrittenen Beschlusses des letzten WASG-Landesparteitages – zu mindestens 50 Prozent aus Frauen bestehen. Der Übergangsvorstand soll bis zum Gründungsparteitag des NRW-Landesverbandes der neuen Partei Mitte September amtieren. PAB

Zimmermann: Die Zahl ist falsch. Wir haben so wenige hauptamtliche Mitarbeiter, dass wir mit dem Eintreiben der Beiträge nicht immer hinterher gekommen sind. Wir haben bislang von einer Mitgliedschaft von knapp 12.000 gesprochen. Das sind maximal 300 bis 500 zu viel.

Detjen: Die Doppeleintritte haben im Jahr 2005 stattgefunden. Die 500, die bei uns im vergangenen Jahr dazu gekommen sind, sind tatsächlich neu.

Zimmermann: Es stimmt schon, dass der Schwung aus den Jahren 2005 und 2006 etwas weg ist. Man merkt das auch in den Debatten. Die Vereinigung der Parteien ist ein zwar notwendiger, aber auch bürokratischer Prozess. Viel Kreativität gibt es da nicht. Aber wenn die Fusion vollzogen ist, kann sich das auch wieder ändern. Dann haben wir endlich mehr Zeit, uns um die politischen Inhalte zu kümmern statt um Satzungsdiskussionen.

Mit der neuen Partei geht es voran, dafür sind kaum landespolitische Inhalte erkennbar.

Detjen: Leider ist der Prozess der Fusion von oben nach unten organisiert worden. Im letzten Jahr haben wir zwar versucht, mit einer Reihe von Konferenzen in die praktische Politik einzusteigen, aber das wäre uns natürlich leichter gefallen, wenn sich der Parteibildungsprozess von unten nach oben entwickelt hätte.

Was ist denn das eigenständige linke Projekt in der Landespolitik?

Zimmermann: Zum Beispiel unser konsequentes Nein zu Privatisierungen. Das unterscheidet uns ganz erheblich von der SPD, die in dieser Frage durch ihre Privatisierungspraxis in den Kommunen völlig unglaubwürdig ist. In Zukunft werden wir versuchen, Privatisierungen verstärkt durch Bürgerbegehren zu verhindern und auch danach schauen, verkaufte Unternehmen wieder in die öffentliche Hand zurückzuholen. Die Krankenhauspolitik ist ebenfalls unser Thema. Der Abbau von Betten, der Rückzug aus der Fläche, das tragen wir nicht mit. Es kann nicht sein, dass etwa ältere Menschen auf dem Land in Notfällen nicht rechtzeitig versorgt werden können.

Detjen: Wir können auch in der Bildungspolitik originäre linke Positionen einbringen. Wir setzen uns für eine gemeinsame Schule für alle ein, ohne die Schüler nach der fünften oder sechsten Klasse auseinander zu dividieren. Das zweite ist die Migrationspolitik: Wir wollen gleiches Recht für alle Menschen, die hier leben. Da unterscheiden wir uns deutlich von der SPD, die den Zuzug ähnlich wie die CDU reglementieren will.

Dennoch klingt das ein bisschen, als hätten Sie sich eigentlich nur die schönsten Oppositionsforderungen von SPD und Grünen zusammengeklaubt.

Detjen: In der Schulpolitik waren wir ein bisschen eher da.

Was hilft das, wenn es niemand merkt?

Zimmermann: Natürlich ist es schwierig geworden, weil SPD und Grüne in der Opposition ähnlich reden wie wir. Wenn ich an die Reden bei der Demonstration gegen die Reform der Gemeindeordnung denke, da klang Hannelore Kraft fast so wie ich. Das Gedächtnis der Wähler ist leider sehr kurz: Ich höre in Betrieben sogar Leute sagen: „Oh, die alte SPD ist wieder da.“

ZIMMERMANN

Wolfgang Zimmermann, 57, steht seit Juni 2005 gemeinsam mit Katharina Schwabedissen dem NRW-Landesverband der Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) vor. Der diplomierte Sozialarbeiter und freigestellte Personalratsvorsitzende ist Vorsitzender des Ver.di-Bezirks Rhein-Wupper und Mitglied des Ver.di-Landesbezirksvorstandes NRW. Innerhalb der WASG zählt der gebürtige Leichlinger zur „Antikapitalistischen Linken“.

Detjen: Die NRW-SPD versucht unter Kraft, sich weiter links zu positionieren. Die fasst jetzt plötzlich Themen an, an die sie sich zu Regierungszeiten nicht einmal mit Handschuhen herangewagt hätte. Trotzdem ist die Linke wichtig, vor allem in der Kommunalpolitik: Wir sind es, die auf Sachen aufmerksam machen, die anderen Parteien durchgehen.

Zum Beispiel?

Detjen: Nehmen wir die Diskussion um das Bleiberecht. Hier in Köln wäre es sicher zu Sprachtests und anderen Schikanen gekommen, wenn wir im Stadtrat nicht darauf geachtet hätten, dass der ohnehin schlechte Beschluss der Innenministerkonferenz nicht noch vor Ort verschärft wird. Oder der Streit um die Ausbildungsplätze: Wir haben als einzige im Landschaftsverband Rheinland darauf hingewiesen, dass zumindest öffentliche Institutionen ihre Ausbildungsquote erfüllen müssen.

Der Aufbau Ihrer Partei kann nur über die Kommunen gelingen. Wie optimistisch sind Sie für die Kommunalwahl 2008?

Detjen: Sehr optimistisch. Wir werden flächendeckend in den Kreisen und kreisfreien Städten kandidieren, dazu in so vielen Gemeinden wie möglich. Wir haben sogar schon einen Arbeitskreis zur Kommunalwahl, damit wir nicht erst ein Vierteljahr vorher anfangen.

Zimmermann: Ich teile die Zuversicht. Die Kommunalwahl wird sicher einfacher für uns als die Landtagswahl 2010, allein schon weil es da keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. In den meisten Städten werden wir über fünf Prozent holen – auch in Wählerbündnissen mit anderen linken und fortschrittlichen Kräften. Aber wir werden es danach auch in den Landtag schaffen.

Die Grünen haben über zehn Jahre gebraucht, um nach ihrer Gründung in den nordrhein-westfälischen Landtag einzuziehen. Warum denken Sie, dass Ihnen das früher gelingen wird?

Zimmermann: Wir haben 2005 aus dem Stand heraus 2,3 Prozent geholt, zusammengezählt mit dem Ergebnis der Linkspartei waren es sogar 3,2 Prozent. Mit einer Basis in den Kommunen und einer klaren Haltung zu den wichtigen landespolitischen Themen werden wir 2010 viel weiter sein.

DETJEN

Ulrike Detjen, 54, gehört seit 1993 dem Landesvorstand der PDS in NRW an. Von 1995 bis 1998 schon einmal Vorsitzende, führt die gelernte Industriebuchbinderin seit Juni 2003 gemeinsam mit Paul Schäfer erneut die Linkspartei.PDS an. Für den NRW-Verfassungsschutz ist die in Lage geborene und in Köln lebende Detjen einer jener „Anhaltspunkte für den Verdacht linksextremistischer Bestrebungen“ der Partei, da sie früher dem KBW angehörte.

Bei der vergangenen Wahl konnten Sie sich an SPD und Grünen in der Regierung abarbeiten. Jetzt konkurrieren Sie in der Opposition. Macht das die Sache nicht ungleich schwerer?

Zimmermann: Wenn neben unseren kommunalen Vertretern auch die Bundestagsfraktion gut arbeitet, haben wir auch gute Voraussetzungen im Land. Und sie arbeitet gut.

Sie planen den Einzug in den Landtag als Mitnahmeeffekt?

Detjen: Nein. Ich bin mir sicher, dass der Zorn auf diese schwarz-gelbe Landesregierung bei vielen Menschen wächst. Bei Reformen wie die der Gemeindeordnung oder dem Landespersonalvertretungsgesetz verschreckt die CDU selbst ihre eigenen Leute. Wir müssen uns deshalb so aufstellen, dass wir uns nicht an der SPD in der Opposition abarbeiten. Das bringt nichts. Wir müssen uns mit dieser Landesregierung auseinander setzen. Deren Parole „Privat vor Staat“ trifft die gesellschaftliche Daseinsvorsorge und damit vor allem arme Menschen.

Parteien werden immer auch durch Personen attraktiv. Im Bund haben Sie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Wo sind solche Köpfe in NRW?

Zimmermann: Hier sitzen zwei! Aber ernsthaft: Unsere Mitglieder haben in den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften einen Namen. Es ist mittlerweile völlig normal, dass die Gewerkschaftsspitzen im Land mit uns reden. Der DGB-Vorsitzende Guntram Schneider, Verdi-Chefin Gabriele Schmidt oder Polizei-Gewerkschaftschef Frank Richter sind bei unseren Parteitagen zu Gast. Das war früher undenkbar. Daran sieht man, welche Akzeptanz wir bereits haben.