Kürzungen beim Strafvollzug in Berlin: „Es ist absolut irre, was da gerade kaputtgeht“
Olaf Heischel, langjähriger Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, zu den Einsparplänen in der Straffälligen- und Resozialisierungshilfe.
taz: Herr Heischel, haben Sie so eine Kürzungsorgie der Senatsverwaltung für Justiz bei der Straffälligen- und Resozialisierungshilfe schon mal erlebt?
Olaf Heischel: Nein. Ich bin seit 35 Jahren Mitglied im Berliner Vollzugsbeirat und muss schon sagen, das ist sehr grob, wie das die Freien Träger jetzt trifft.
taz: Vorgesehen ist eine Streichung von 4,5 Millionen, das wären 60 Prozent der bisherigen Mittel. Können Sie bei den Kürzungen Kriterien erkennen?
Heischel: Nein. Vielleicht ist einer zu klein, um sich zu wehren, oder groß genug, um das zu verkraften? Auch persönliche Präferenzen können eine Rolle gespielt haben. Fakt ist: Das Verfahren zu diesen Kürzungen war vollkommen undemokratisch und intransparent. Wir vom Berliner Vollzugsbeirat haben am vergangenen Freitag lediglich mitgeteilt bekommen, wen es mit welcher Summe trifft.
69, ist Rechtsanwalt und seit 1999 Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, in dem die Anstaltsbeiräte aller 8 Berliner Haftanstalten vertreten sind.
taz: Werden Sie versuchen, Einfluss zu nehmen?
Heischel: Auf jeden Fall! Es geht hier nicht um ein privates Engagement im Strafvollzug, sondern um eine grundsätzliche gesellschaftliche Frage. Der Einsatz von Freien Trägern ist bei der Integration und Resozialisierung von straffällig gewordenen Menschen unerlässlich. Mangelnde Resozialisierung führt bekanntlich zu einer erhöhten Rückfallquote.
taz: Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) gibt lieber Geld für neue Drogenspürhunde in den Knästen aus.
Heischel: Mein Eindruck ist, dass von diesem schwarz-roten Senat eine Klientelpolitik betrieben wird. Das kann man auch in anderen Bereichen des Haushalts sehen. Die Anwohnerparkgebühren sind mit 10 Euro pro Jahr seit 16 Jahren unverändert.
taz: Welche Kürzungen bei der Straffälligenhilfe schmerzen besonders?
Heischel: Die Kürzungen bei der religiösen Betreuung für Muslime in den Gefängnissen tun weh. Dafür ist ein neuer Posten von 750.000 Euro für christlich religiöse Betreuung von Gefangenen geschaffen worden. Und das, obwohl die Mehrheit der Gefangenen in Berlin, so weit sie überhaupt religiös sind, nicht mehr dem christlichen, sondern dem muslimischen Spektrum zuzurechnen ist. Die Betreuung von bedrängten Minderheiten durch Vollzugshelfer:innen soll drastisch gekürzt werden. Wir wissen aus Umfragen von Mann-O-Meter, die diese Betreuung von Gefangenen übernehmen, dass Angriffe und Beleidigungen in den hiesigen Strafvollzugsanstalten horrende sind. Heftig Federn lassen soll auch das Gefängnistheater aufBruch, das seit 27 Jahren existiert und für seine Integrationsarbeit weit über Berlin hinaus bekannt ist.
Die Zuwendungen aus dem Justizhaushalt für das Gefängnistheater aufBruch sollen im Jahr 2025 um 70 Prozent gekürzt werden. Damit steht die Existenz des mehr als 27-jährigen Projekts auf dem Spiel.
AufBruch integriert straffällig gewordene Menschen in künstlerische Projekte, deren Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dieses Konzept bereichert die resozialisierenden Behandlungsangebote in den Justizvollzugsanstalten, ermöglicht den Inhaftierten Teilhabe an kulturellen Schaffensprozessen, Zugang zu Bildung und den Erwerb sozialer Kompetenzen.
Darüber hinaus schafft aufBruch mit seinen Aufführungen einen Ort der Begegnung für verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Das öffentliche Interesse an den Theateraufführungen ist seit Jahren ungebrochen: sämtliche Vorstellungen sind ausnahmslos ausverkauft.
Am 19.Dezember entscheidet das Abgeordnetenhaus final über den Nachtragshaushalt und die vorgeschlagenen Kürzungen. (lis)
taz: Das Gefangenentheater soll zwei Drittel seiner Mittel aus dem Justizetat verlieren.
Heischel: Das heißt, statt drei Aufführungen vielleicht nur noch eine machen zu können. Die Arbeit und die Strukturen, die die Theaterleute in den Haftanstalten aufgebaut haben, brächen damit zusammen. Auch die Bediensteten der Haftanstalten äußern sich mir gegenüber absolut begeistert über das Projekt. Sie merken, wie gut die Theaterarbeit ist, für die Gefangenen und auch für die Bewältigung von internen Problemen im Knast. Es ist absolut irre, was da gerade alles kaputtgeht, sollten die Kürzungen tatsächlich so durchgehen. Die Bediensteten in den Knästen können das nicht auffangen, so viel ist klar. Sie haben dazu weder die Ausbildung noch die Zeit.
taz: Was heißt das für die Insassen?
Heischel: Sie werden ohne Wohnung und Betreuung entlassen. Sie werden sich alleingelassen fühlen. Meine Befürchtung ist, wer sich alleingelassen fühlt, sagt sich: Ihr könnt mich auch mal.
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