Künstler in Polen: Leicht verloren im eigenen Land
Auf internationalen Messen sind Künstler aus Polen präsent, im eigenen Land aber nicht. Ein Umbruch zeichnet sich ab: Zum Beispiel in Toruń, wo letztes Jahr ein Kunstzentrum eröffnet hat.
Mit dem Zug nach Polen. Vor dem Fenster ziehen lange Alleen, staubige Fabriken und riesige Felder vorbei. Hinter den klapperigen Traktoren picken Schwärme von Störchen im abgeernteten Korn, über dem die Sonne immer höher steigt. Drinnen im stickigen Abteil schieben sich schwitzige dicke Männer mit aufgeknüpften Hemden durch den dünnen Gang in Richtung der verstopften Zugtoilette, um dort heimlich zu rauchen. Irgendwann bildet sich eine kleine Warteschlange vor der verbeulten Tür, während unten die Gleise so laut rattern, dass keine Unterhaltung möglich ist.
Die polnische Eisenbahn wirkt so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Irgendwann, damals, kurz nach 1989. Alles passt ins stereotype westliche Bild eines leicht rückständigen, postkommunistischen Landes am östlichen Rand der EU. Doch angekommen in Toruń, ändert sich der Eindruck. Toruń ist hübsch. Aufgehübscht zumindest. Keine Spur vom Staub kommunistischer Planwirtschaft, keine von oben verordnete Reißbrett-Stadtplanung - stattdessen eine betörend schöne Altstadt, die sich an den breiten Ufern der Weichsel erhebt. Neben dieser Altstadt, die Teil des Unesco-Weltkulturerbes ist, hat Toruń auch eine berühmte Universität. Nikolaus Kopernikus lehrte hier. Toruń liegt mitten in Polen und hat 213.000 Einwohner.
Und Toruń hat seit etwa einem Jahr ein großes Museum für zeitgenössische Kunst, das Centre of Contemporary Art Znaki Czasu, kurz CoCA. Ein wenig wie ein Einkaufszentrum sieht das große Backsteingebäude direkt am Rande der Altstadt aus. Niemand käme auf die Idee, hier nach Gegenwartskunst zu suchen.
"Am Anfang fühlten wir uns schon ziemlich fremd. Wir hatten das Gefühl, dass niemand hier versteht, was wir eigentlich vorhaben", bestätigt die junge Chefkuratorin Joanna Zielinska diesen Eindruck. Und fährt fort: "Doch allmählich wird das anders." Die Existenz eines solchen Museums in einer Stadt wie dieser ist in der Tat ein Novum für die polnische Kunstszene.
Denn bislang steht es in Polen außerhalb der Metropolen schlecht um die zeitgenössische Kunst - anders etwa als in Deutschland, wo seit Jahr und Tag ein Heer von Kunstvereinen für die flächendeckende Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst sorgt. Noch dazu hat Polen nach wie vor mit dem Erbe kommunistischer Kulturpolitik zu kämpfen: "Die polnische Kunstszene hat ganz viele Jahre verloren. Es gab hier zwar immer eine starke Avantgardeszene, doch die hatte nie institutionelle Repräsentanz.
Und es wurde nicht besser, sondern direkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fast noch schlimmer, da es so gut wie keine Finanzierung gab", erklärt Monika Branicka die Lage. Sie betreibt mit ihrer Partnerin Asia Zak seit einiger Zeit in Berlin eine Galerie, die sich auf osteuropäische, vor allem aber polnische Kunst spezialisiert hat.
So ist das 2008 eröffnete CoCA der erste wirkliche Museumsneubau in Polen seit dem Jahr 1939. Und es ist der Pilot des sogenannten Znaki-Czasu-Projektes ("Zeichen der Zeit") des polnischen Kultusministeriums. Dieses Programm soll zeitgenössische Kunst "zu den Leuten" bringen, die Sichtbarkeit steigern und vor allem die Akzeptanz. "Zeitgenössische Kunst muss natürlich auch außerhalb der großen Zentren vermittelt werden, an diesen Orten, an denen die Menschen bislang keine Chance hatten, sich damit auseinanderzusetzen. In Toruń spielt der Vermittlungsaspekt daher eine zentrale Rolle", fasst Tomasz Dabrowski vom Polnischen Institut in Berlin zusammen.
Denn auch wenn polnische Künstler wie etwa Zbigniew Libera, Artur Zmijewski, Wilhelm Sasnal oder Monika Sosnowska im internationalen Biennalenzirkus und auf dem weltumspannenden Kunstmarkt Erfolge feiern, auch wenn Galerien wie Raster und vor allem die Galeria Foksal Foundation, die beide in Warschau beheimatet sind, die letzten zehn Jahre auf dem großen Messeparkett reüssierten und viel für die polnische Kunst taten - in Polen selbst merkt man davon noch nicht so viel. Nur wenige Museen kümmerten sich dort bislang um Gegenwartskunst - trotz einer starken Avantgardetradition, trotz einer immens aktiven Szene junger und jüngster Kunst. Erfolg und vor allem Anerkennung gab es für polnische Kunst bislang nur jenseits der eigenen Landesgrenzen.
Doch das, so scheint es, ist gerade dabei, sich zu ändern. Das altehrwürdige Museum von Lódz etwa, das - 1930 gegründet -Europas ältestes Museum für zeitgenössische Kunst darstellt, hat soeben einen Neubau bekommen. In Warschau ist eine große Diskussion über ein repräsentatives staatliches Museum für Gegenwartskunst entbrannt, das dort gebaut werden soll. Dessen Team, zu dem die Mitgründerin der Galeria Foksal Foundation, Joanna Mytkowska gehört, macht bis zur Fertigstellung schon einmal mit dem Magazin Muzeum und einer Reihe von Veranstaltungen von sich Reden.
Gdansk hat seit 2004 mit dem Wyspa Institute of Art ein schnell bekannt gewordenes Museum für zeitgenössische Kunst, und in Poznan plant eine der wenigen Großsammlerinnen Polens, Grazyna Kulczyk, mit dem japanischen Stararchitekten Tadao Ando das erste private Museum Polens. Deren sogenannte Art Stations Foundation möchte in der Stadt unweit der deutschen Grenze ein ganzes Kulturzentrum etablieren, das neben der bildenden Kunst ebenfalls Tanz, experimentelles Kino und Musik beheimaten soll.
Ganz ähnlich wie diese geplanten "Kunst-Stationen" der Sammlerin Kulczyk funktioniert auch das CoCA in Toruń wie eine Art Kulturzentrum mit Kunstschwerpunkt: Hier findet sich ebenfalls ein kleines Programm-Kino und eine Bühne für Performance-Projekte, man organisiert Festivals für experimentelle Musik. Das CoCA arbeitet mehrschichtig und verzahnt vor einem immer wieder thematisierten regionalen Hintergrund internationale Kunst mit nationaler. Arbeit am Bodensatz einer globalen Welt - Glokalisierung nennt man das wohl. "Diese bewusste Arbeit mit lokalem Anschluss ist etwas wirklich Neues für Polen", sagt Zielinska, "bei den wenigen Institutionen, die es bislang gab, war dieser kunstpädagogische Aspekt, der hier im Vordergrund steht, fast nicht präsent."
Doch trotz dieser von der Kulturpolitik in die Gründungsstatuten des Museums diktierten Verpflichtung zur Basisarbeit sind die Ausstellungen, die im CoCA gerade zu sehen sind, alles andere als leichte Kost. Da wäre etwa die Ausstellung "Gone to Croatan" des Kurators Daniel Muzyczuk, die sich breit angelegt den Themen von Erinnerung und Verschwinden widmet. In einer labyrinthischen Ausstellungsarchitektur, in der man selbst schnell verloren gehen kann, hat Muzyczuk eine Unmenge Kunst versammelt, vornehmlich Konzeptuelles, sehr viel Film und Video, sogar einige Audioinstallationen.
Hier stehen Arbeiten von internationalen Größen wie Fischli/Weiss oder Bas Jan Ader neben polnischen Avantgardeschätzen von Józef Robakowski und Pawel Freisler. Aus der unmittelbaren Nachwendezeit ergänzen ausgegrabene Raritäten wie ein Video der Künstlergruppe Ziemia Mindel Würm und Arbeiten von jungen Künstlern wie etwa Julita Wójcik die Schau. Die Wände sind großflächig mit Zitaten aus dem Fundus der hohen Kulturtheorie beschrieben - Gustave Flaubert, Giorgio Agamben, Maurice Blanchot oder Alain Badiou. Eine überbauzentrierte Ausstellung, alles andere als leicht zu konsumieren, alles andere als zugänglich und leicht zu vermitteln.
Wie ein Gegenprogramm wirkt dagegen die Ausstellung, die Zielinska selbst ein Stockwerk tiefer kuratiert hat. Die Präsentation mit Arbeiten aus der in der Schweiz beheimateten Daros Collection, der größten europäischen Sammlung lateinamerikanischer Kunst, ist aufgeräumt, reduziert und auf den Punkt gebracht. Und doch ist auch diese Ausstellung komplex angelegt und mehrschichtig konzipiert.
Prinzip des Sammelns
"Einmal im Jahr", so Zielinska, "präsentieren wie eine Sammlung. Das hat vor allem den Grund, dass wir den Menschen hier das Prinzip des Sammelns selbst, das so elementar für die zeitgenössische Kunst ist, näherbringen wollen." Und so erschließt diese Ausstellung jenseits der fraglos sehr guten Kunst ihre zweite Ebene vor dem Hintergrund eines größeren, kulturpolitischen Rahmens. Hier wird in der Tat Basisarbeit geleistet: eben in dem Sinne, dass man nicht nur der Kunstszene Polens eine angemessene Repräsentanz bereitstellt, sondern auch dadurch, dass man an der Akzeptanz zeitgenössischer Kunst in der breiten Gesellschaft ansetzt.
"Mit Akzeptanz konnte zeitgenössische Kunst in Polen bislang fast nur rechnen, wenn man bereits Anerkennung im Ausland bekommen hat. Dann wird das als Erfolgsmodell wieder reimportiert", erklärt Monika Branicka. Sollte das Znaki-Czasu-Modell weitergeführt werden, dann würde sich wohl genau das ändern. Vorausgesetzt, die Krise macht der Förderung keinen Strich durch die Rechnung.
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