Kubanischer Bürgerrechtler: "Reden wir nicht mehr über Castro"
Der Oppositionelle Oswaldo Payá engagiert sich für Demokratie und Gewaltfreiheit auf Kuba. Wenn sich das Regime jedoch weiter taub stelle, so Payá, sei Gewalt nicht ausgeschlossen.
taz: Herr Payá, kürzlich haben Sie die Gründung des "Komitees zur Versöhnung und zum Dialog" bekanntgegeben. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Oswaldo Payá: Wir treten für die Bürgerrechte der Kubaner und für die Freilassung der pazifistischen politischen Gefangenen in Kuba ein. Wir werben für echte Partizipation der Bürger und für einen Dialog, dessen Basis das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Versammlungsrecht und eine neues Wahlrecht sein sollten. Für uns ist das die Basis für den Dialog und die nationale Versöhnung, die wir anstreben.
Im Januar wird in Kuba das Parlament gewählt. Welche Bedeutung hat diese Wahl?
In Kuba kann man nicht von demokratischen Wahlen sprechen, denn die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht werden den Kubanern vorenthalten. Zudem ist im nationalen Wahlgesetz festgelegt, dass die Kandidaten nur von den Wahlkommissionen aufgestellt werden können, nicht aber von der Bevölkerung. Im Wahlgesetz ist auch definiert, dass die Zahl der Abgeordnetensitze mit der Zahl der Kandidaten übereinstimmen muss. Diese Tatsache sprechen für sich. Daraus kann jeder seine Schlüsse ziehen.
Steht das Wahlgesetz dem vom Proyecto Varela angestrebten Referendum über die Zukunft Kubas im Wege?
Ja, die christliche Befreiungsbewegung und das Proyecto Varela, denen ich angehöre, haben am 30. August den Repräsentanten des kubanischen Parlaments einen Vorschlag für ein neues Wahlgesetz präsentiert. Wir haben vor dem kubanischen Parlament gegen die derzeitige Wahlgesetzgebung protestiert, weil sie nicht verfassungskonform ist.
Hat die Regierung darauf reagiert?
Nein. Am Wahlgesetz und auch an der Intoleranz der Regierung hat sich nichts geändert. So ist die Zahl der politischen Gefangenen nicht wesentlich zurückgegangen und nach wie vor werden die Dissidenten in Kuba bespitzelt und eingeschüchtert. Zudem hat sich im politischen Diskurs der Verantwortlichen nichts Wesentliches geändert. Die Angst dominiert den Alltag, dabei wartet die Bevölkerung auf den Wandel.
Die Regierung rühmt die hohe Wahlbeteiligung.
Die gab es auch unter Honecker in der DDR. In Kuba ist das nicht sonderlich anders. Es gibt keine Möglichkeit eigene Kandidaten aufzustellen und sie zu wählen, das ist die einfache Wahrheit. Das wollen wir mit dem Proyecto Varela ändern: wir treten für die nationale Versöhnung, für den Erhalt des unentgeltlichen Gesundheits- wie Bildungssystems ein und für die nationale Selbstbestimmung. Die Kubaner sollen selbst über ihre Zukunft entscheiden - in absoluter Freiheit.
Die Opposition in Kuba gilt als sehr zersplittert. Haben die Appelle zur Einigkeit, unter anderem von Ihnen, etwas bewirkt?
Unseren Appell "Einheit für Freiheit", in dem Versöhnung, friedlicher Wandel und echte Partizipation gefrodert werden, haben die meisten bekannten Dissidenten Kubas unterzeichnet. Das war ein wichtiger Schritt.
Hat die Bevölkerung denn eine Ahnung von der Existenz dieser sich zusammenraufenden Opposition?
Die kubanische Bevölkerung will Veränderungen und sie weiß oft mehr als innerhalb und außerhalb Kubas vermutet wird. Das Proyecto Varela ist durchaus bekannt, obwohl wir selbst keine Möglichkeiten haben in die Öffentlichkeit zu treten. Die staatlichen Medien in Kuba berichten über uns nichts, wir werden totgeschwiegen. Auch in Miami gibt es viele Widerstände gegen unser Projekt, weil einflussreiche Kreise unsere Ziele nicht teilen. Gleichwohl steigt die Zahl der Menschen in Kuba, die sich offen zu uns bekennen.
Hector Palacios, der neben Ihnen wohl bekannteste Dissident in Kuba, hat kürzlich behauptet, dass die Opposition in Kuba stetig wächst. Von ungefähr 5000 Oppositionellen hat er gesprochen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Schon möglich, dass die Zahlen steigen. Aus meiner Sicht ist es wesentlich wichtiger, dass die Zahl der Menschen, die offen für den Wandel eintreten, zunimmt. Mir geht es nicht darum politische Blöcke zu formieren, sondern darum, dass die Bürger für ihre Rechte eintreten. Die Kubaner sollen die Protagonisten des Wandels sein, nicht etwa einige wenige Politiker.
Hat der Druck der Sicherheitsbehörden auf Sie und ihre Organisation in den letzten Monaten abgenommen?
Nein, er ist unverändert und nach wie vor sitzen viele unserer Aktivisten unter entwürdigenden Bedingungen im Gefängnis. Das ist ein Akt der Einschüchterung gegenüber der Bevölkerung und unserer Bewegung. Nach wie vor lautet die offizielle Parole "Sozialismus oder Tod". Der Tod ist für uns jedoch keine Option, wir kämpfen für Freiheit und Leben.
Wie denken Sie über die Kubapolitik der EU?
Es ist positiv, dass die EU für die Menschenrechte, die Rechte der Kubaner und die Demokratie in Kuba eintritt. Gleichwohl nimmt die EU eine abwartende Haltung ein. Es gibt keine aktive Unterstützung für unsere pazifistische Alternative und für die Freilassung der politischen Gefangenen. Derzeit existieren, so denke ich, zwei Flügel innerhalb der EU. Die einen nähern sich Havanna an und reduzieren den Druck, die anderen bleiben auf Distanz. Beide Positionen tragen aus unserer Sicht nicht unbedingt zum friedlichen Wandel bei. Gleichwohl hilft eine Verbesserung des Klimas natürlich den Unternehmern, die in Kuba Geschäfte machen, und auch den Touristen, die nach Kuba kommen, um sich zu erholen.
Die UN hat gerade den Sonderberichterstatter für Menschenrechte auf Kuba abgeschafft - was halten Sie davon?
Es ist beschämend und ein moralisches Armutszeugnis der UN, denn wir haben uns immer gegen das US-Handelsembargo gewandt, gleichzeitig aber auch immer auf das Fehlen elementarer Freiheiten und die Situation der politischen Gefangenen hingewiesen.
Zweimal hat das Proyecto Varela Unterschriftenlisten eingereicht, um ein Referendum über die politische Zukunft der Insel durchzusetzen. Gab es jemals eine Antwort?
Nein, keine direkte. Allerdings wurden viele unserer Mitglieder verhaftet und verurteilt. Ansonsten wurde der Mantel des Schweigens darüber gebreitet, denn die unbequemen Fragen, die wir aufwerfen, kann und will die Regierung in Havanna nicht beantworten.
Wie beurteilen Sie die Perspektiven Kubas?
Es gibt die konkrete Gefahr, dass es bei anhaltender Ignoranz der kubanischen Regierung gegenüber dem Wunsch nach Wandel und bei anhaltender Unterdrückung auch zur Gewalt kommen kann. Es gibt keinerlei Perspektive für die Bevölkerung und keinerlei Signale für einen Wechsel und das ist ein Risiko. Dem gegenüber steht unser Referendumsvorschlag - eine echte Alternative, um eine humanere, gerechtere und freiere Gesellschaft aufzubauen.
Am Sonntag wurde bekannt, dass Fidel Castro im Januar für das Parlament kandidiert. Was bedeutet das für die politische Zukunft Kubas?
Darüber will ich nicht spekulieren. Wir haben in fast fünfzig Jahre in Kuba nur über einen einzigen Mann gesprochen, aber in Kuba gibt es mehr als elf Millionen Einwohner. Die sollen auch einmal zu Wort kommen, das ist ihr gutes Recht.
INTERVIEW: KNUT HENKEL
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