Kuba: Ärzte sorgen für Wirtschaftsboom

Die kubanische Wirtschaft wächst. Ein Grund: Mediziner verdienen in Venezuela Geld für ihre Heimat. In Havannas Haushalten ist vom Boom aber wenig zu spüren.

Noch in der Heimat: Ärztinnen im Ramon Pando Ferrer Krankenhaus in Havanna Bild: reuters

HAVANNA taz Weiß ist die neue Farbe der kubanischen Revolution. Denn: Weiß leuchten die Kittel und Hauben von Ärzten und Schwestern. Und ihre Arbeitstracht ist das Symbol des fulminanten kubanischen Wirtschaftsbooms der letzten drei Jahre: Um knapp 30 Prozent ist die Volkswirtschaft der Insel den offiziellen Statistiken zufolge in diesem Zeitraum gewachsen. "Einen erheblichen Teil dieses Wachstums haben die weißen Engel der Revolution generiert", so Omar Everleny Pérez, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Havanna. Ihren Dienst schieben die Mediziner in Venezuela.

"Derzeit arbeiten dort 27.000 kubanische Ärzte", sagt Everleny. Und nicht nur Ärzte, sondern auch Krankenschwestern, Techniker, Ingenieure oder Sportlehrer arbeiten in Caracas, Ciudad Bolívar oder Maracaíbo in brüderlicher Mission. Die Einsätze sind gut dotiert. Sie sind aber nicht nur für die Compañeiros vor Ort attraktiv, sondern auch für die Regierung in Havanna.

Auf 6 Milliarden US-Dollar schätzen Everleny und die Wissenschaftler des Forschungsinstituts der kubanischen Wirtschaft (CEEC) den Devisenzufluss aus Venezuela im Laufe des letzten Jahres. Etwas unübersichtlich ist die Verrechnung der erbrachten Leistungen: "Sie werden teils als Spende, teils als Kompensationsgeschäft verrechnet. Einige Arbeiten werden jedoch auch cash über die Konten des staatlichen venezolanischen Erdölkonzerns PdVSA beglichen", erklärt Everleny.

Längst ist Venezuela zum wichtigsten Handelspartner der Insel geworden, auch in den offiziellen Statistiken. Sie weisen ein Handelsvolumen zwischen den Bruderstaaten von 2,6 Milliarden US-Dollar auf. Auch der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der in Kuba als kleiner Comandante bezeichnet wird, tritt als Investor auf. In den Raffinerie- und Nickelsektor fließen Petrodollars aus Caracas, die den finanziellen Spielraum der Regierung in Havanna merklich erweitern.

Vom hohen Wachstum und Devisenzufluss bekommt die Bevölkerung in Havanna jedoch nur wenig mit. Das Angebot auf den Bauernmärkten Havannas ist alles andere als üppig, und die Preise steigen, statt wie politisch gewünscht zu sinken. 40 Peso - das sind rund zehn Prozent des kubanischen Durchschnittslohns pro Monat - kostet ein Pfund Schweinekotelett. Und bei Reis und Bohnen sowie anderen Grundnahrungsmitteln ist die Produktion stark rückläufig, so eine gerade veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts CEEC. Kompensiert wird der anhaltende Produktionsverfall in der Landwirtschaft mit zusätzlichen Importen. 84 Prozent der Grundnahrungsmittel werden, so die Vizeministerin für Wirtschaft und Planung Magalys Calvo zur Parteizeitung Granma, importiert. Und von Jahr zu Jahr steigen die Ausgaben.

Das gilt als Armutszeugnis für den Agrarsektor, der noch in diesem Jahr reformiert werden soll. "Den Auftrag hat Raúl Castro den Ministerien bereits im letzten Dezember erteilt, aber bisher wurden die Reformpläne noch nicht präsentiert", so der Agronom Armando Nova vom CEEC. Er hofft mit seinen Kollegen vom Institut auf einen tief greifenden Wandel, der auch auf andere Wirtschaftssektoren ausstrahlt. "Wir wachsen überproportional stark im Ausland, während es der Binnenwirtschaft an Dynamik fehlt", meint Kollege Everleny. Mit dem Ausland ist Venezuela gemeint. Selbst der Tourismus, der lange Zeit als eine der wichtigsten Branchen galt, bringt nicht mehr viel ein. Echte Zuwächse weisen nur wenige Branchen wie der Nickel- oder Tabaksektor vor. Sie profitieren von der hohen Weltmarktnachfrage und sind mit ausländischen Investitionen verknüpft.

Zwar investiert auch die kubanische Regierung - etwa in die Infrastruktur, den Wohnungsbau oder die Renovierung von Schulen und Hospitälern. "Doch davon nehmen lange nicht alle Kubaner Notiz. Was zählt, ist, was in den Lohntüten ankommt", erklärt Omar Everleny. Und an der Diskrepanz zwischen den Löhnen und den Lebenshaltungskosten hat sich kaum etwas geändert. Das belegen neue Studien des CEEC.

Die Wissenschaftler des Forschungsinstituts sehen darin auch den wesentlichen Grund für die exorbitant niedrige Produktivität im staatlichen Sektor der kubanischen Wirtschaft. Für dieses Dilemma haben die weißen Engel der Revolution keine Pille.

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