Kritischer Comic, gefährdeter Zeichner: Mythos Eternauta
Argentinische Avantgarde: Die Akademie der Künste projiziert Héctor G. Oesterhelds „Eternauta“ in den öffentlichen Raum.
Als die seit 2015 amtierende Präsidentin der Akademie der Künste, Jeanine Meerapfel von ihrem Kollegen Johannes Odenthal nach einer für Argentinien besonders typischen Kunst befragt wurde, antwortet die 1943 in Buenos Aires geborene Filmregisseurin spontan – das Comic.
Der Programmbeauftragte der Akademie reagierte überrascht, doch entsprang dieser Unterhaltung die Idee für die aktuelle Fassadeninstallation in Berlin. „Mafalda und Eternauta retten die Welt. Die kritische Kunst des argentinischen Comics“ wird nun täglich mit Einbruch der Dunkelheit durch die Fensterflächen der Akademie auf den Vorplatz des Brandenburger Tors geworfen.
Für diese Projektion hat Jeanine Meerapfel gemeinsam mit dem beliebten argentinischen Zeichner Miguel Antonio Repiso (REP) Ausschnitte aus bedeutenden argentinischen Comics zusammengestellt, darunter auch einige von Rep’s eigenen Cartoons. Zentrale Protagonisten dieser Installation sind Quino’s „Mafalda“, ein scharfsinniges kleines Mädchen mit großem Kopf und kurzen Beinen und der von Héctor G. Oesterheld 1957 geschaffene und von Solano López illustrierte Science-Fiction-Held „Eternauta“.
Doch während „Mafalda“ nach 1964 auch international bekannt wurde, blieb das in mehreren Versionen und mit hohen Auflagen in Argentinien veröffentlichte Comic „Eternauta“ vor allem eine lokale Legende, die mit der jüngsten Geschichte des südamerikanischen Landes auf tragische Weise verknüpft ist. Dem Beispiel seiner erwachsenen Töchter Marina, Beatriz, Diana und Estela folgend, hatte sich Eternautas Schöpfer Héctor G. Osterheld in den siebziger Jahren der linksperonistischen Guerilla, den Montoneros angeschlossen.
Nach dem Putsch des argentinischen Militärs 1976 tauchte er unter. Héctor G. Oesterheld, seine vier Töchter und seine zwei Schwiegersöhne wurden während der Diktatur verschleppt und ermordet. Die bedrückende Biografie dieses Autors und sein Comic „Eternauta“ standen so auch im Mittelpunkt des Gesprächs über Sozialkritik im argentinischen Comic, zu dem Jeanine Meerapfel nun zur Eröffnung in die Akademie der Künste geladen hatte.
Kalter Krieg, atomare Bedrohung
Während Anna Kemper, die Journalistin in der Runde, deren Reportage über Oesterheld Anfang des Jahres im Zeit Magazin erschienen ist, in dem kollektiven Kampf gegen außerirdische Mächte im „Eternauta“ eine bemerkenswerte Vorwegnahme des eigenen Schicksals des Autors erkannte, wollte der argentinische Zeichner Miguel REP dieser für ihn ahistorischen Interpretation nicht folgen. Vielmehr sei „Eternauta“ in den fünfziger Jahre aus der Mitte der argentinischen Gesellschaft im allgemeinen Kontext von Kaltem Krieg, atomarer Bedrohung, kubanischer Revolution und US-amerikanischen Imperialismus entstanden.
Héctor G. Oesterhelds humanistisch geprägte Abenteuergeschichten erschienen ab 1951 als Fortsetzung in argentinischen Tageszeitungen oder waren günstig als Zeitschrift am Straßenkiosk erhältlich. Der studierte Geologe hatte sich bewusst für das populäre, damals wenig prestigeträchtige Medium entschieden. Auch der Italiener Hugo Pratt, der später den berühmten Antihelden „Corto Maltese“ erschuf, illustrierte in Buenos Aires zahlreiche von Oesterhelds Storyboards.
„Mafalda und Eternauta retten die Welt. Die kritische Kunst des argentinischen Comics“. Akademie der Künste, Pariser Platz, bis 17. Januar 2016, täglich 16 bis 22 Uhr
Und der Berliner Comic-Verleger Johann Ulrich erinnerte daran, dass es in Europa in den fünfziger Jahren keine Comic-Kultur für ein erwachsenes Publikum gegeben hätte. Anlässlich der geplanten Ausstellung „Mythos Eternauta“ im Literaturhaus Stuttgart wird Ulrich die längst fällige deutsche Ausgabe des „Eternauta“ Anfang 2016 im Avant-Verlag herausgeben.
Jeanine Meerapfel schlug am Ende der Diskussion den Bogen in die Gegenwart und griff das Attentat auf die Redakteure der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 auf. „Ist es gefährlich, was du machst?“, wollte sie von Miguel REP wissen. Doch der für seine klare politische Haltung in Argentinien bekannte Zeichner wehrte entschieden ab: „Nein, überhaupt nicht, gefährlich ist es nur in Frankreich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?