piwik no script img

Kritik an französischer IntegrationspolitikMaulkorb für Literatur-Preisträgerin

Gerade erst erhielt Marie NDiaye den wichtigsten französischen Literaturpreis. Nun fordern rechte Politiker einen Tadel, weil sie die Politik der Sarkozy-Regierung kritisierte.

Marie NDiaye "nimmt gar nichts zurück". Bild: ap

PARIS taz | Als sie vor zehn Tagen für ihren Bestseller "Trois femmes puissantes" (Drei starke Frauen) mit dem Goncourt-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, hatte sich Marie NDiaye bestimmt nicht vorgestellt, dass ihr diese Ehre auch viel Ärger einbringen könnte. Jetzt muss sie wie ihre Romanheldinnen selbst Stärke beweisen.

Da sich die in Berlin im "Exil" lebende farbige Erfolgsautorin in einem Interview sehr kritisch, ja, abfällig zur Pariser Immigrationspolitik geäußert hatte, wurde sie von einem Abgeordneten der Regierungspartei, dem ehemaligen Minister Eric Raoult, scharf zur Ordnung gerufen. Dieser forderte zudem öffentlich Kulturminister Frédéric Mitterrand auf, die freche Schriftstellerin zurechtzuweisen und sie namentlich an ihre "Pflicht zur Mäßigung" als Laureatin der wichtigsten Auszeichnung für zeitgenössische Autoren in Frankreich zu erinnern.

In seinem Brief an Mitterrand vertritt Raoult die Meinung, dass eine mit dem Goncourt gekrönte Intellektuelle eine Art offizielle Mission habe und wie eine Staatsvertreterin "die nationale Kohäsion und das Image des Landes respektieren" müsse. Dass die als Tochter einer Französin und eines Senegalesen in Frankreich geborenen NDiaye in einem Interview mit dem Kulturmagazin Inrockuptibles ihren Umzug nach Berlin unter anderem damit erklärt, dass sie "Sarkozys Frankreich" und speziell die Immigrationspolitik von Innenminister Brice Hortefeux als "monströs" verwirft, brachte den vorbehaltlosen Sarkozy-Fan Raoult auf. Er verlangte von NDiaye eine Entschuldigung für diese Majestätsbeleidigung. Damit stellt er die Meinungs- und Redefreiheit infrage, die für Dichter und Denker in Frankreich seit Voltaire als Nationalheiligtum gilt.

Dem Kulturminister, der selbst kürzlich wegen seiner literarischen Sextourismusschilderung im Mittelpunkt eines Skandals stand, ist das Ansinnen aus den Kreisen der Regierungspartei, er müsse da in der Literaturszene Ehrerbietung gegenüber dem Staatsoberhaupt und seinen Ministern durchsetzen, äußerst peinlich. Obschon er es bei der Verhaftung von Roman Polanski in der Schweiz als seine ureigenste Aufgabe bezeichnet hatte, sich "auf die Seite der Kulturschaffenden" zu stellen, will er dieses Mal nicht Partei ergreifen: "Es ist nicht an mir, den Schiedsrichter zu spielen zwischen einer Privatperson, die sagt, was sie will, und einem Parlamentarier, der sagt, was er auf dem Herzen hat." Er findet die ganze Debatte "ein wenig lächerlich", jedenfalls habe er nicht vor, zu einer Klagemauer für alle "Jammernden" zu werden. NDiaye ist enttäuscht, sie nimmt aber zur Kenntnis, dass der Kulturminister implizit zugesteht, dass sie sagen darf, was sie will. Nachdem sie zuerst ihre Äußerungen über die Immigrationspolitik relativieren wollte, erklärte sie nun im Gegenteil, sie nehme gar nichts zurück.

Inzwischen hat sich eine große Debatte über die intellektuelle Freiheit in Frankreich entwickelt. Sogar die ehrwürdige Goncourt-Akademie hat sich eingemischt, um ihrer Preisträgerin zu bescheinigen, dass sie wegen dieser Lorbeeren zu keiner politischen Zurückhaltung oder Selbstzensur verpflichtet sei. Die linke Opposition findet den Versuch, einer Autorin einen Maulkorb anzulegen, schockierend. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit meint: "Selbstverständlich darf jeder, und auch Marie NDiaye, sagen, was er denkt, und auch Nicolas Sarkozy kritisieren, das ist Teil der Grundrechte in einer Demokratie." Und Frédéric Mitterrand, der sich nicht getraut hat, klar für diese Freiheit einzutreten, sei darum ein feiger "Stiefellecker".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • U
    uiop

    “Farbig”? Ist das euer Ernst?