Kritik an Abschiebungen: "Sheriff Gnadenlos" schlägt zurück
Sie hatten ihn wegen seiner rigiden Abschiebepraxis kritisiert. Deshalb verklagte ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde sieben Flüchtlingsorganisationen.
BREMEN taz | Der Staatsschutz Erlangen/Nürnberg ermittelt seit Mitte Dezember gegen sieben Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International.
Die Organisationen hatten dem für Abschiebungen zuständigen Beamten der Ausländerbehörde Erlangen, Armin M., "Tricks" und "Ermessensentscheidungen am äußersten rechten Rand" vorgeworfen. M. sah darin Verleumdungen und Beleidigung und erstattete Anzeige.
Normalerweise wird der Staatsschutz bei extremistisch motivierten Straftaten eingeschaltet. Man sei wegen des "politischen Hintergrunds" mit dem Fall betraut, heißt es beim Staatsschutz.
Ende November hatten die sieben Organisationen, unter ihnen die Ortsgruppe von Amnesty und der Bayerische Flüchtlingsrat, zu einer Pressekonferenz in Erlangen eingeladen. Flüchtlinge berichteten dort exemplarisch über ihre Erfahrungen mit M., der seit langem in der Kritik steht. Überschrieben war die Einladung mit "Sheriff Gnadenlos muss weg".
"Der Kollege ist sehr heftig angegangen worden. Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen," so ein Sprecher der Stadt Erlangen.
Auf der Pressekonferenz gesprochen hatte etwa der Iraner Ali H. Er wollte 2009 einen Asyl-Folgeantrag stellen und benötigte dafür eine Reiseerlaubnis von M. Der stellte sie H. in Aussicht - ließ ihn aber vorher von zwölf Polizeibeamten festnehmen und nach Teheran abschieben. Dort kam H. ins Gefängnis, er berichtet von Folter. H. floh erneut und stellte in Frankfurt einen neuen Asylantrag. Dort wurde er sofort als Flüchtling anerkannt.
Wegen Ladendiebstahl ausweisen
Die psychisch kranke Amina F. aus Aserbaidschan hatte M. dabei behindert, ihr Asylverfahren wieder aufnehmen zu lassen. Er verweigerte ihr etwa eine Reiseerlaubnis zu einem Behandlungszentrum für Folteropfer. M. wollte die junge Frau schließlich wegen eines Ladendiebstahls als "Gefährderin der öffentlichen Sicherheit" ausweisen, bis das Bundesamt für Flüchtlinge ihr nun Abschiebeschutz gewährte.
Im Juli trennte M. die Roma-Familie Berisha. In Abwesenheit des Vaters wurden die Frau und drei Kinder in die Slowakei abgeschoben. Die Familie war 2010 von dort nach Deutschland eingereist. Am Tag nach der Abschiebung lief die Überstellungsfrist ab - die Berishas können nun weder in Deutschland noch in der Slowakei zusammen kommen. "M. wusste, dass er die Familie auseinander reißt," sagt Alexander Thal vom Bayrischen Flüchtlingsrat. Das verstoße gegen den grundgesetzlichen Schutz der Familie.
M.s Anwalt verschickte auch eine Unterlassungserklärung. Die Flüchtlingsorganisationen sollten unterschreiben, dass sie Aussagen wie jene,dass M. "vor der Trennung einer Familie nicht zurückschreckt" nicht widerholen. Bei Zuwiderhandlung droht eine "Vertragsstrafe" von 5.100 Euro. "Wir unterlassen das selbstverständlich nicht", sagt Thal. M. müsse sich der "Kritik stellen".
Ein menschlicher Umgang wurde nicht erreicht
Auch Amnesty weist den Verleumdungs-Vorwuf zurück. "Wir haben die drei Fälle nicht falsch dargestellt", sagt Kornelia Gallwas von der Amnesty-Ortsgruppe Erlangen. Bei H. gab es "keinen Grund für eine kurzfristige Abschiebung", die Trennung der Berishas sei "nicht nachvollziehbar", so Gallwas. Seit Jahren habe sich Amnesty "intern" bei der Behörde für die Flüchtlinge eingesetzt. "Ein menschlicher Umgang mit Flüchtlingen wurde nicht erreicht."
Erlangens SPD-Kreisvorsitzender Dieter Rosner nannte die Einbindung des Staatsschutzes "völlig unverständlich". Dies könne als "Einschüchterungsversuch verstanden" werden.
Die Stadt Erlangen ist bemüht, die Sache herunterzukochen. "Wir nehmen die Vorwürfe nicht auf die leichte Schulter", sagt Sprecher Peter Gertenbach. Die "umstrittenen Fälle" lägen der Aufsichtsbehörde zur Prüfung vor. Oberbürgermeister Siegfried Balleis bat die Polizei, M.s Anzeige nicht vom Staatsschutz bearbeiten zu lassen - dies habe die Situation "unnötig dramatisiert". Balleis kündigte einen Runden Tisch an.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
+++ Nachrichten zur Ukraine +++
Gespräche bei der Sicherheitskonferenz