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Krise nach Geiselnahmen in Nicaragua

Ehemalige Contras und sandinistische Soldaten halten Dutzende von Menschen fest / Fünfzehn Gefangene in Managua freigelassen / Angst vor einem neuen Bürgerkrieg  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Nach zwei Geiselnahmen im Norden Nicaraguas und der Hauptstadt Managua hat eine Vermittlungsdelegation am Wochenende einen ersten Erfolg erzielt. Eine Gruppe sogenannter Recompas, ehemaliger sandinistischer Soldaten, ließ am Sonntag 15 ihrer 34 Gefangenen frei, die sie bei der Besetzung des Hauptquartiers des rechtsgerichteten UNO-Bündnisses genommen hatten. Damit blieb eine gefürchtete Eskalation zwischen den Recompas und Recontras, wiederbewaffnete ehemalige Rebellen, zunächst aus.

Nach einer sandinistischen Protestveranstaltung gegen eine Geiselnahme im Norden Nicaraguas hatte ein linksgerichtetes Kommando am Freitag abend die Zentrale der Oppositionsallianz UNO besetzt und die in Krisensitzung tagende Führung des rechten Parteienbündnisses gefangengenommen. Unter den Geiseln befinden sich Vizepräsident Virgilio Godoy und die ehemaligen Parlamentspräsidenten Alfredo Cesar und Miriam Argüello. Das „Kommando der Souveränität und Würde“, wie sich die Geiselnehmer nennen, wird vom Major i. R. Donald Mendoza angeführt. Seine einzige Forderung ist die Freilassung der Geiseln, die am Donnerstag von den Recontras der „Nordfront 3-80“ in eine Falle gelockt wurden.

Die Krise nahm ihren Anfang, als Recontra-Chef José Angel Talavera, alias „Comandante Schakal“, eine parlamentarische Kommission in sein Hauptquartier bei Quilali, 280 km nördlich von Managua, gelockt hatte, angeblich, um über eine Demobilisierung und Amnestie für seine Truppen zu diskutieren. Doch offenbar hatte er von Anfang an vor, die sandinistischen Abgeordneten Doris Tijerino und Carlos Gallo als Geiseln zu nehmen, um die Absetzung des sandinistischen Armeechefs Humberto Ortega sowie des Präsidialministers und Vertrauten von Präsidentin Violetta Chamorro, Antonio Lacayo, und des Geheimdienstchefs Lenin Cerna zu erzwingen. Eine Forderung, die mit zunehmender Aggressivität auch von den Parteien des UNO-Bündnisses und vom Unternehmerverband Cosep vorgebracht wurde.

Was lag also näher, als im Gegenzug die „geistigen Väter“ der Geiselnahme, die sich nur sehr zögernd von der Aktion distanziert hatten, zur Rechenschaft zu ziehen? Dies dürfte die Überlegung von Donald Mendoza von der „Vereinigung Revolutionärer Militärs“ (Amir) gewesen sein, ehe er mit vier Kameraden ein paar vor dem Eingang der UNO-Zentrale sitzende Leibwächter entwaffnete und im Handstreich die wichtigsten Köpfe der UNO zu seinen Gefangenen erklärte.

Damit stand Nicaragua am Rande des offenen Bürgerkriegs. Man mußte als nächstes ein Attentat auf den sandinistischen Ex-Präsidenten und jetzigen Parteichef Daniel Ortega oder seinen Bruder Humberto, einen Anschlag auf das Theater, in dem gerade die chilenische Gruppe Inti-Illimani spielte, oder ein Massaker unter sandinistischen Bauern erwarten. Während sich die Regierung ratlos und handlungsunfähig zeigte, ergriffen Daniel Ortega und die Menschenrechtsaktivistin Vilma Nunez die Initiative. Nunez stellte einen ersten Kontakt zwischen den Geiselnehmern und der Präsidentin her, und Daniel Ortega brachte ein mitternächtliches Treffen zwischen Chamorro, den wenigen auf freiem Fuß verbliebenen UNO-Chefs und den Sandinisten zustande.

Das Ergebnis der Sitzung, die in den frühen Morgenstunden des Samstag endete, war ein gemeinsamer Aufruf an alle Geiselnehmer, ihre Gefangenen gleichzeitig freizulassen. Die Regierung verpflichtete sich, auf Strafverfolgung der Beteiligten zu verzichten und dafür zu sorgen, daß alle Rebellen, die ihre Waffen abgeben, Arbeit oder ein Stück Land bekommen. Später wurden zwei Kommissionen gegründet, die unverzüglich mit den Geiselnehmern Kontakt aufnehmen sollten.

Eine Delegation, angeführt von Ortega und Nunez, begab sich in die UNO-Zentrale und erreichte dort die Freilassung von dreizehn Angestellten und zwei kranken Politikern.

Die andere reiste in den Norden, um mit dem „Comandante Schakal“ Kontakt aufzunehmen, der noch immer 37 Personen in seiner Gewalt hatte. Der erklärte jedoch, jede Kommission, die ohne Vollmacht komme, über die Absetzung von von Humberto Ortega und Lacayo zu verhandeln, solle besser zu Hause bleiben. Die Gefangennahme der UNO-Leute hätte keinen Einfluß auf sein Vorgehen. Bisher haben die Geiselnahmen kein Menschenleben gefordert, doch je länger die Anspannung dauert, desto nervöser werden naturgemäß alle Beteiligten.

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