Krise im Südlibanon: Krieg ist nur eine Frage der Zeit
Die libanesische Armee bestätigt, dass sie am Dienstag an der Grenze zuerst geschossen hat. Das verwundert die israelische Regierung, die Aggressionen der Hisbollah befürchtet.
Vier Jahre nach dem Krieg ist der mit Hilfe der Vereinten Nationen erreichte Waffenstillstand noch immer alles andere als stabil. Auch die Blauhelme der Unifil konnten den Schusswechsel, der am Dienstag drei Libanesen und einem Israeli das Leben kostete, nicht verhindern. Entgegen anfänglicher Vermutungen in Israel hatten die schiitischen Extremisten der Hisbollah mit der Eskalation nichts zu tun. "Wir haben zuerst geschossen", gab ein Vertreter der libanesischen Armee am Mittwoch zu.
Israels Verteidigungsminister Ehud Barak nannte den Zwischenfall zwar eine "schwerwiegende Provokation", versicherte jedoch, dass nun alles getan werden müsse, um "das Ereignis nicht zu einer größeren Krise ausarten zu lassen". Die EU und die USA haben an beide Seiten appelliert, Zurückhaltung zu bewahren. Die israelischen Soldaten waren unter Beschuss geraten, als sie mit Hilfe eines Krans jenseits des Grenzzauns einen Baum fällen wollten, der bei der Einrichtung von Überwachungskameras störte.
Die UNO bestätigte die israelische Information, dass der fragliche Baum zwar hinter der sogenannten blauen Linie liege, aber doch auf israelischem Gebiet. Die UNO hatte nach dem israelischen Abzug aus dem Südlibanon im Sommer 2000 die Grenze vorläufig markiert. Zum Teil verläuft die "blaue Linie" entlang dem alten Grenzzaun, an anderen Stellen ist die Enklave mehrere hundert Meter breit.
Seit Wochen verdichten sich die Anzeichen, dass ein erneuter Krieg an der israelisch-libanesischen Grenze nur eine Frage der Zeit ist. "Wir werden die israelische Hand abhacken, die nach der libanesischen Armee greift", warnte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in seiner Rede nach dem Grenzzwischenfall. Nicht nur der Ton der schiitischen Extremisten verschärft sich. Auch die Führungen in Jerusalem und Beirut schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Israel protestierte vor der UNO gegen die "Provokation" und warnte vor neuer Gewalt. Dass ein libanesischer Soldat seine Waffen auf Israel richte, sei ungewohnt, musste man in Jerusalem feststellen.
Israels Hauptfeind im Libanon bleibt die Hisbollah. Entgegen der Abmachungen des Waffenstillstandsvertrags, der die komplette Entwaffnung der schiitischen Kämpfer im Südlibanon vorsieht, baut die Hisbollah ihre Stützpunkte aus. Israels Nachrichtendienste arbeiten auf Hochtouren. Fast jede Woche gibt es Meldungen aus dem Libanon, dass erneut ein israelischer Spion dingfest gemacht worden ist.
Vor wenigen Wochen ging die Armee mit nachrichtendienstlichem Material an die Presse. Dazu gehörten Luftaufnahmen und Filmanimationen, die auf Waffenlager in nicht weniger als 160 Dörfern schließen lassen. Nach Prognose der Armee ist die Hisbollah schon heute wieder in der Lage, täglich 600 Raketen auf Israel abzuschießen. Die Pressekonferenz des Militärs, so schrieb Haaretz, gehöre schon zur Vorbereitung auf einen neuen Krieg.
Anders als vor genau vier Jahren - damals wurde die Invasion der israelischen Armee von der Entführung zweier Soldaten ausgelöst -, ist heute ein Sonderaufgebot von 15.000 bewaffneten Blauhelmen im Einsatz. Die libanesische Presse kommentierte den Zwischenfall am Dienstag gnadenlos. "Nur wenn es ruhig ist, funktioniert die Unifil", schrieb Al Anwar. Doch wenn es brennt, schauten die Blauhelme aus sicherer Entfernung nur zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers