Krise der europäischen Währung: Der Tod des Euro ist zu teuer
Trotz der Krise wird uns die Gemeinschaftswährung erhalten bleiben. Ein Ausstieg aus dem Euro würde zum ökonomischen Kollaps vieler Länder führen.
BERLIN taz | Wenn das Jahr 2010 eine bahnbrechende politische Erkenntnis gebracht hat, dann war es diese: Die Finanzkraft von Staaten ist endlich. Nicht nur in Afrika oder Lateinamerika können Regierungen bankrottgehen. Selbst in Europa liegt die Pleite von Eurostaaten im Bereich des Möglichen. Wissenschaftler wie Harvard-Professor Kenneth Rogoff haben darüber zwar schon dicke Bücher geschrieben, aber im Bewusstsein auch der deutschen Bürger hat sich dieser Gedanke erst in diesem Jahr verankert.
Dabei betrifft die Möglichkeit des Staatsbankrotts nicht nur periphere Länder wie Island, Griechenland und Irland, sondern auch das Zentrum Europas. Die Zinsen deutscher Staatsanleihen sind unlängst beträchtlich gestiegen: Die Bundesregierung und die Steuerzahler müssen den Käufern der Schuldscheine einen höheren Preis bezahlen. Damit wachsen auch hier die Kosten der Verschuldung - zusätzlich zu den Milliardenausgaben, die ohnehin schon zur Bewältigung der Finanzkrise aufgebracht wurden.
Zwar schwebt Deutschland nicht in der unmittelbaren Gefahr der Pleite. Innovationskraft, Wachstum, Produktivität und internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft sind hoch, die Arbeitslosigkeit hält sich im Rahmen. Und doch knirscht es im Gebälk: Denn auch die viertgrößte Nationalökonomie der Welt wäre überfordert, die gesamte Eurozone zu retten. Schon heute garantiert Deutschland einen beträchtlichen Teil des Eurorettungspaktes.
Für Irland, Portugal und Spanien ist genug Platz unter dem bestehenden 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm, aber spätestens bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Italiens würden sich andere Fragen stellen. Dann könnten die internationalen Investoren, die deutsche Staatsanleihen kaufen, an der Stabilität auch der deutschen Finanzen zu zweifeln beginnen. Im Ergebnis stünde nicht nur die Euromitgliedschaft einzelner Länder, sondern die Währung insgesamt zur Disposition.
Die Lage ist so: Staaten haben kein eigenes Geld. Alles, was sie brauchen, müssen sie sich entweder bei den Bürgern als Steuern und Abgaben oder bei den internationalen Investoren durch den Verkauf von Staatsanleihen besorgen. Weil die Regierungen derzeit sehr schnell sehr große Summe benötigen, steigt der Zinssatz der Anleihen, also der Preis, den Investoren als Gegenleistung für Kredite verlangen. Letztlich sind die Staaten schwach und die Akteure auf den Finanzmärkten sitzen am längeren Hebel.
Damit schaffen es die internationalen Banken, Fonds und Investoren, auf Kosten der Regierungen sehr ordentliche Geschäfte zu machen. Höhere Zinsen für Staatsanleihen spülen Milliarden Euro auf die Konten der Gläubiger - eine gigantische Umverteilung zugunsten derjenigen, die genügend Kapital besitzen, um es zu verleihen.
Für die Investoren ist die Eurokrise eine lukrative Angelegenheit. Auch deshalb ist sie noch nicht vorbei. Die Zinsen portugiesischer Staatsanleihen sind unlängst stark gestiegen. Zwar erscheint die Ökonomie Portugals grundsätzlich einigermaßen stabil, doch die steigenden Kosten der Verschuldung könnten die Staatsfinanzen überfordern.
Ein weiterer Fall für den Rettungsschirm kann dann Spanien werden. Im Vergleich zu Portugal kommt hier verschärfend hinzu, dass die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent liegt und die Banken auf Milliarden fauler Kredite für halb fertige oder leer stehende Immobilien sitzen. So könnte die Ansteckung weiter von einem Land zum anderen fortschreiten - als nächste Ziele stehen bereits Italien und selbst Belgien auf der Liste der Analysten.
Weitere Schutzwälle
In dem Maße, wie die Krise um sich greift, werden aber auch die europäischen Regierungen weitere Schutzwälle errichten. So dürften sie den Rettungsschirm aufstocken. Statt heute 750 Milliarden Euro stellen sie dann vermutlich 1,5 Billionen Euro oder mehr zur Verfügung. Aus diesem Budget können sich bedrohte Staaten Geld zu niedrigeren Zinsen leihen, als sie sie auf dem Finanzmarkt bezahlen müssten. Für die Investoren sind derartige Ansagen ein Zeichen, dass sie die Preistreiberei bei den Zinsen nicht mehr weiterführen können und sollten.
Dagegen, den Rettungsschirm auszuweiten, wehrt sich die Bundesregierung aber ebenso wie gegen die sogenannten Eurobonds. Das sind gemeinsame Anleihen aller Eurostaaten, die bisher nur in geringem Umfang verkauft werden. Würde man mehr davon auflegen, hätte das einen entscheidenden Vorteil: Für bedrohte Länder würde sofort der Zinssatz sinken, weil sie von der Bonität der starken Staaten wie Deutschland, Österreich und den Niederlanden profitierten.
Weil sich die Krise auf diese Art vermutlich eindämmen ließe, hat Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker die Eurobonds unlängst wieder ins Gespräch gebracht. Aber Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble lehnen den Plan mehr oder weniger ab. Ihr Argument: Deutschland müsste im Vergleich zu heute höhere Zinsen zahlen, was den Bundesbürgern nicht zuzumuten sei.
Nicht unwahrscheinlich erscheint es trotzdem, dass auch die Eurobonds demnächst kommen. Denn fast alle europäischen Regierungsparteien wissen, dass der Austritt eines Landes oder mehrerer Staaten aus der Eurozone ein ökonomisches und politisches Desaster verursachen würde. Diesen Fall will man unbedingt vermeiden. Die Kosten wären enorm.
Würde ein Staat wie Griechenland oder Irland seine alte Währung wieder einführen, wäre er sofort vom internationalen Finanzmarkt abgeschnitten. Da der stabilisierende Rückhalt des Euro fehlte, kauften Investoren keine Staatsanleihen des betreffenden Staates. Ohne ausreichende Finanzkraft brächen der öffentliche Dienst, das Sozial- und Gesundheitssystem zusammen. Unternehmen machten Pleite, die Arbeitslosigkeit stiege rasant. Die Regierung, die den Austritt beschlossen hätte, würde diesen Kollaps wohl nicht überleben. Träten mehrere Euromitglieder zugleich aus, potenzierten sich die negativen Folgen.
Und wie stünde Deutschland da, entschlösse sich die Bundesregierung, die D-Mark wiedereinzuführen, weil ihr die Rettung der gemeinsamen Währung zu teuer ist? Viel schlechter als heute. Auf einen Schlag würden die deutschen Unternehmen große Teile ihres Exportmarktes verlieren. Denn der Umtauschkurs der D-Mark stiege stark und verteuerte die Exporte entsprechend. Den Nachbarn fehlte schlicht das Geld, die Maschinen und Autos made in Germany zu erwerben. Der Effekt auch hier: Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit.
Einen vergleichbaren Weg schlug 1990 die DDR ein, als sie aus dem Rubelsystem austrat und die starke D-Mark einführte. Es folgte ein Jahrzehnt Abwicklung, Rückbau und Sanierung. Hinzu käme heute, dass die deutschen Banken einen guten Teil ihrer Auslandsguthaben verlören, da diese dann nicht mehr im wertstabilen Euro, sondern in irgendwelchen Weichwährungen notiert würden. Die Kosten dieses Durcheinanders würden die Kosten der Eurorettung bei Weitem übersteigen.
Die Frage ist also nicht, ob der Euro gerettet wird, sondern wie und vor allem wie schnell. Neben einem größeren Rettungsschirm und den Eurobonds ist auch das übrige Programm im Prinzip bekannt. Wenn die Staaten ihren Euro behalten wollen - und davon kann man ausgehen - so müssen sie mehr und mehr Kompetenzen nach Brüssel abgeben.
Die Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik der Nationalstaaten wird dann zunehmend europäisch. Nur so kann man den Investoren vermitteln, dass nicht ein Staat schwächer ist als der andere und ein lohnendes Objekt für Spekulationsattacken darstellt. Die Eurokrise könnte als Katalysator dafür wirken, dass aus der Europäischen Union die Vereinigten Staaten von Europa werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen