Krise der Währungsunion: Alles besser ohne Euro?
Sechs Länder der Eurozone müssen sich Defizitverfahren stellen, die Kreditwürdigkeit von Staaten wie Griechenland sinkt rapide. Ist die Währungsunion in Gefahr?
1992, sieben Jahre vor Einführung des Euro, legte die EU mit dem Vertrag von Maastricht den Grundstein für die Währungsunion. Schon lange hatte sich die EU bemüht, Wechselkursschwankungen möglichst gering zu halten, um den innereuropäischen Handel einfacher und billiger zu machen. Doch der Versuch, die einzelnen Währungen einfach aneinander zu koppeln, scheiterte 1992. Damals hatte die Bank of England die Leitzinsen zwecks Rezessionsbekämpfung kräftig gesenkt. Deutschland dagegen lockte Anleger mit hohen Zinsen. Der Spekulant George Soros setzte nun Milliarden darauf, dass das Pfund abstürzen würde und gewann. Das Pfund flog aus dem Europäischen Währungssystem (EWS). Dann folgte die italienische Lira. Die EU sah ein, dass man nicht gleichzeitig eine unterschiedliche Zins- und eine einheitliche Währungspolitik haben kann. Künftig sollte die Europäische Zentralbank einheitliche Zinsen festlegen. Der damalige Finanzminister Theo Waigel erzwang daraufhin den Stabilitätspakt, um Ungleichgewichte zu verhindern: Unter anderem darf das Haushaltsdefizit eines Euro-Landes maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen - eine Klausel, gegen die Deutschland die meiste Zeit verstoßen hat. Seit die Finanzkrise zuschlägt und alle Staaten Geld in die Wirtschaft pumpen, scheinen die Maastricht-Kriterien ohnehin nur Makulatur.
Gerade hatte man sich daran gewöhnt, mit dem Euro eine grundsolide Währung zu haben, da stürzt er an den Devisenbörsen schon wieder ab. Noch im vergangenen Sommer ließ es sich dank des starken Euro zum Beispiel in den USA und in vielen anderen Ländern billig Urlaub machen. Mittlerweile bekommt man jedoch statt 1,60 nur mehr 1,25 Dollar für einen Euro. Der Wertverlust des Euro spiegelt den Vertrauensverlust gegenüber der europäischen Einheitswährung wider, der derzeit auf den Finanzmärkten zu beobachten ist.
"Die Eurozone droht auseinanderzufallen", warnt der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Hankel, ein radikaler Euro-Kritiker der ersten Stunde. "Das Fundament des Maastricht-Vertrags wankt", sagt die Investorenlegende George Soros. Hat der Euro angesichts von so viel Schwarzseherei noch eine Zukunft? Selbst die EU-Kommission bezeichnet die Lage in einigen Euro-Staaten angesichts der Verschlechterung bei den Defiziten und der Wettbewerbsfähigkeit als "nicht nachhaltig".
Nicht nur die Athener Jugendlichen haben in letzter Zeit ein Problem mit ihrem heruntergewirtschafteten Land. Die wenigen wettbewerbsfähigen Branchen Griechenlands - Fremdenverkehr und Reedereien - leiden besonders stark unter dem globalen Konjunktureinbruch. Überdies ist die Staatsverschuldung fast so hoch wie die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung des Landes. Die Ratingagentur Standard & Poors bewertet die griechische Kreditwürdigkeit deutlich geringer als die aller anderen Euro-Länder. Für griechische Staatsanleihen wird daher ein hoher Risikoaufschlag fällig. Weil die Regierung nun immer höhere Zinsen zahlen muss, wird das Loch im Haushalt immer größer. Im Zusammenhang mit Griechenland liest man in letzter Zeit häufiger das Wort "Staatsbankrott". Inzwischen wurde auch Spaniens und Portugals Bonität herabgestuft, Irland gilt als Wackelkandidat. Am Mittwoch hat die EU-Kommission gegen Frankreich, Griechenland, Irland, Lettland, Malta und Spanien Defizitverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung auf den Weg gebracht. Auf Strafzahlungen will sie aber angesichts der Finanzkrise verzichten.
Früher, vor der Einführung des Euro, hätte es ein ganz einfaches Mittel gegeben, um die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen: Abwertung. Die griechische Notenbank hätte die Zinsen gesenkt, die Nachfrage nach griechischen Drachmen wäre wegen der nun geringeren Rendite zurückgegangen und dadurch wäre der Wechselkurs von selbst gefallen. Das hätte Griechenland für Urlauber attraktiver gemacht, die griechischen Reeder hätten ihre Dienstleistungen günstiger anbieten können und alle Exporte von Olivenöl bis Textilien wären preiswerter und damit wettbewerbsfähiger geworden. Diese Möglichkeit fällt aber seit der Einführung des Euro weg.
Allerdings ist auch nicht sicher, dass sich Griechenland damit aus der Krise manövrieren könnte. Diversen EU-Staaten außerhalb der Eurozone ergeht es auch nicht besser, trotz ihrer geldpolitischen Freiheit. In Osteuropa senkten die Notenbanken eifrig die Zinsen. Der ungarische Wirtschaftsminister signalisierte, er würde eine Abwertung des Forint zwecks Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ungarischer Exportgüter begrüßen. Die Folge: Die Währungen Ungarns, aber auch Polens und Tschechiens stürzen ins Bodenlose. Wer kann, zieht sein Kapital ab. Ungarn musste im vergangenen Herbst bereits vom Internationalen Währungsfonds gerettet werden. Jetzt droht auch den anderen Staaten der Crash.
Selbst Euro-Skeptiker wie der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel plädieren deshalb nicht für eine Abschaffung des Euro: "Gerade in der jetzigen Krise kämen noch viel mehr Probleme auf die Regierungen zu, wenn sie sich auch noch um die Stabilisierung ihrer individuellen Wechselkurse kümmern müssten." Über einen Austritt einzelner Länder aus der Währungsunion wird dennoch immer öfter gemunkelt. Die Teilnehmer an der Onlineplattform Intrade, auf der man auf das Eintreten der verschiedensten Ereignisse spekulieren kann, setzten die Wahrscheinlichkeit derzeit bei exakt 26 Prozent an.
Freiwillig werden Länder wie Griechenland oder Portugal den Euro ohnehin nicht aufgeben, sagt Moritz Kraemer, Leiter der Länderanalysen von Standard & Poors: "Die Wiedereinführung einer nationalen Währung würde zu einer Abwertung führen und die Schuldenquote nach oben treiben, weil die ausstehenden Verbindlichkeiten ja nach wie vor auf Euros lauten." Überdies käme den Staat dann die Kreditaufnahme viel teurer. Er müsste den Investoren deutlich höhere Zinsen zahlen, um sie für das Wechselkursrisiko zu entschädigen. Die darauffolgende Wirtschaftskrise wäre vermutlich viel schlimmer als das, was Griechenland jetzt durchmacht.
Aber was passiert eigentlich, wenn ein Mitgliedstaat zahlungsunfähig wird? Die Wahrscheinlichkeit ist außerordentlich gering, wie Kraemer betont. Das aktuelle Rating griechischer Staatsanleihen entspreche einem Ausfallrisiko von 2 Prozent. Aber die Finanzmärkte schließen die Möglichkeit offenbar nicht ganz aus: Die Prämien für Credit Default Swaps - eine Art Versicherung gegen Zahlungsausfälle - steigen derzeit steil an.
Und so macht sich auch die EU Gedanken über die Nöte diverser Euro-Mitglieder und spielt gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank entsprechende Szenarien durch. Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Euro-Gruppe, machte den Lösungsvorschlag, dass die Eurozone gemeinsam eine Anleihe aufnimmt, einen sogenannten Euro-Bond. Dann müssten Länder wie Griechenland, Spanien oder Italien nicht länger so ruinös hohe Zinsen zahlen. Die Kehrseite: Länder mit ausgezeichneter Bonität, wie Deutschland, müssten dann höhere Zinsen zahlen als bisher. Drei Milliarden Euro könnten so an jährlichen Mehrkosten auf den Bundeshaushalt zukommen. Die Reaktion von Finanzminister Peer Steinbrück war daher eindeutig: "Ich werde nicht eine Verschlechterung der Konditionen für deutsche Staatsanleihen billigend in Kauf nehmen", verkündete er nach dem EU-Finanzministertreffen Mitte Januar.
Bliebe für den Notfall noch Plan B: Die EU müsste überschuldeten Staaten mit Überbrückungskrediten beispringen. Auch hier wären heftigste Proteste programmiert: Künftig würden sich dann auch andere Länder nicht länger mit einer Sanierung ihres Haushalts abmühen, so die Befürchtung, sondern sich einfach auf die EU verlassen. Der Maastricht-Vertrag enthält deshalb sogar die Klausel, dass die EU nicht für überschuldete Euro-Länder einsteht. Aber dass die EU auf der Klausel besteht, wenn es hart auf hart kommt, gilt als unwahrscheinlich. Denn was wäre die Alternative? Wäre etwa Griechenland erst einmal zahlungsunfähig, würden alle Investoren sofort ihre verbrannten Finger von Staatsanleihen der anderen Problemstaaten lassen. Die kämen dann auf einmal kaum noch an Geld beziehungsweise müssten horrende Aufschläge dafür zahlen. Eine Massenspekulation auf eine Pleite weiterer Euro-Länder würde einsetzen. Gleich Dominosteinen fiele als Nächstes vielleicht Portugal, dann Spanien. Italien könnte der nächste Kandidat sein. Oder Irland. Und dann hätten die Euro-Skeptiker recht bekommen, dann wäre der Euro Geschichte.
So weit wird es die EU nicht kommen lassen, und auch der bis vor kurzem noch so hartleibige Finanzminister Steinbrück scheint sich angesichts der Zuspitzung der Probleme in den vergangenen Wochen eines Besseren zu besinnen. Auf ein Auseinanderbrechen der Währungsunion angesprochen, sagte er: "Können Sie sich vorstellen, dass irgendjemand so etwas auch nur in Kauf nehmen könnte?" Das sei "völlig absurd" mit Blick auf die öffentlichen Folgen. "Sollte Deutschland am Ende vor der Wahl stehen, zu helfen oder einem Bankrott zuzusehen, werden wir gemeinsam mit anderen tätig werden müssen", zitiert die Süddeutsche Zeitung aus Regierungskreisen. Schließlich hat gerade der Exportweltmeister Deutschland ein enormes Interesse daran, seine Handelspartner nicht pleitegehen zu lassen und ein Wechselkurschaos zu verhindern.
Kurzfristig lassen sich die Probleme der Währungsunion mit Beistandskrediten jedenfalls lösen, ist sich der Ökonom Hickel daher sicher. Aber was muss mittelfristig passieren, um ein Auseinanderdriften der Euro-Staaten zu vermeiden? Die Problemstaaten müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, fordert Rating-Experte Kraemer: "Inflation und Lohnstückkosten müssen über längere Zeit unterhalb des Niveaus der Eurozone insgesamt liegen, so wie dies Deutschland mit einigem Erfolg gemacht hat." Hickel sieht aber nicht nur die Defizitländer in der Pflicht. Die Kehrseite der Defizite seien schließlich die Überschüsse von Ländern wie Deutschland. "Die Währungsunion ist auch bedroht durch die aggressive Exportstrategie der Bundesrepublik, die nicht zuletzt auf immer niedrigeren Lohnkosten basiert", sagt Hickel. "Aber die Lösung ist jetzt nicht die Abwicklung des Euro, sondern seine Weiterentwicklung in Richtung einer Wirtschaftsunion, inklusive einer gemeinschaftlichen Lohn- und Beschäftigungspolitik."
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