Krise beim HSV: Labbadia entlassen
Nach Bruno Labbadias Entlassung will der Hamburger SV vorerst mit Techniktrainer Ricardo Moniz den Erfolg in der Europa League sichern.
HAMBURG taz | Die Soziologen werden jubeln. Sie können ihren Lehrbüchern ein Musterbeispiel für eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung" hinzufügen. Seit Monaten wird in Hamburg das Scheitern von HSV-Trainer Bruno Labbadia herbeigeredet. Nun ist es amtlich - der Hamburger SV trennt sich mit sofortiger Wirkung vom sechsten Trainer in sechs Jahren. Der unmittelbare Auslöser war die 1:5-Blamage in Hoffenheim vom Sonntag, bei der es stark nach Arbeitsverweigerung roch. Der zur Teilnahme an der Europa League berechtigende sechste Tabellenplatz ist damit praktisch unerreichbar.
"Die jüngsten Auftritte haben bei uns den Eindruck erweckt, dass wir etwas ändern müssen, um das wichtige Spiel am Donnerstag in London erfolgreich zu bestreiten und in das Finale der Europa League einzuziehen", teilte Präsident Bernd Hoffmann gestern mit.
Labbadia (44) hatte zuvor alle Vorurteile bestätigt, die ihm nach seinem verpatzten Saisonfinale mit Bayer Leverkusen vor einem Jahr entgegengebracht wurden. Nach begeisterndem Auftakt entfernte er sich mehr und mehr von der Mannschaft, schob die Verantwortung für Fehler auf andere und brüskierte nahezu alle Führungsspieler.
Piotr Trochowski machte er zum Ersatzspieler, David Jarolim und Ruud van Nistelroy wechselte er gegen ihren Willen aus, und mit Mladen Petric lieferte er sich einen öffentlichen Streit über einen verfrühten Trainingseinstieg des Kroaten. Zuletzt rüffelte er Frank Rost nach einem nicht angemeldeten Kinobesuch so sehr, dass der Torwart aus dem Mannschaftsrat zurücktrat.
Beim Durchdrücken seiner Prinzipien ließ der für seine Akribie bekannte Jungtrainer ("Ich spreche täglich mit dem Platzwart") jegliches Fingerspitzengefühl vermissen. Ohne Erfolge in der Tasche, aber mit dem Habitus eines italienischen Weltmeistertrainers - dieser Widerspruch wird von ausgebufften Bundesligaprofis gnadenlos abgestraft.
Erst recht erwies sich der frühere Profi als zu unreif, diesen disparaten HSV-Kader zusammenzuschweißen. Zwischen sich selbst überschätzenden Nachwuchsstars, die nur die nächste Karrierestufe im Blick haben, und Altstars mit Restlaufzeiten versammelt sich jede Menge fußballerisches Mittelmaß.
Die HSV-typischen Undiszipliniertheiten, wie der Flaschenwurf von Guerrero, bekam er genauso wenig in den Griff wie die traditionell überzogenen Erwartungen im Umfeld. Dazu fielen Leistungsträger wie Petric, Jansen und Guerrero über Monate aus, und Hoffnungsträger wie Berg erwiesen sich als Flop. Das alles musste Labbadia ohne einen Sportdirektor an seiner Seite tragen, nachdem Dietmar Beiersdorfer den Machtkampf mit Bernd Hoffmann verloren hatte.
Die nun vollzogene Trennung wäre wahrscheinlich schon früher erfolgt, wenn sich eine kurzfristige Lösung aufgedrängt hätte. Aber Co-Trainer Edi Sözer ist so mit Labbadia verbandelt, dass er gleich mit entlassen wurde.
Nun soll Technik-Trainer Ricardo Moniz, um den pikanterweise gerade Dietmar Beiersdorfer bei Red Bull Salzburg buhlt, die Mannschaft bis Saisonende übernehmen. "Wir sind davon überzeugt, dass Ricardo Moniz die Prozentpunkte aus der Mannschaft herausholt, die zuletzt gefehlt haben", sagt Hoffmann.
Außerdem verfügt der Niederländer, den einst Martin Jol mit nach Hamburg gebracht hatte, über eine Spezialkompetenz, die kurz vor dem Europa-League-Rückspiel in Fulham sehr gefragt ist: Er kennt aus seiner Zeit in Tottenham den englischen Fußball.
Die absurde Situation, dass ein Trainer kurz vor einem großen europäischen Triumph entlassen wurde, gab es in der Bundesliga schon einmal. 1996 entließ Bayern München Otto Rehhagel und gewann mit Trainer Franz Beckenbauer wenige Tage später den Uefa-Pokal.
Sollte Ricardo Moniz dieses Kunststück mit dem HSV am 12. Mai im eigenen Stadion wiederholen, wäre dies der größte HSV-Erfolg seit dem Gewinn des Landesmeister-Cups 1983 - und könnte die strukturelle Krise des HSV wieder einmal überdecken. Der Club steht immer noch ohne starken Sportdirektor da, der dem mächtigen Präsidenten Paroli bieten könnte.
In der kommenden Saison sollen sich Kommunikationsvorstand Katja Kraus und der bisherige DFB-Chefscout den Job teilen: Der eine sichtet, die andere verhandelt. Teile und herrsche. Dafür stehen auf der Spekulationsliste für den Trainerjob mit Löw, van Basten und Schuster einige Schwergewichte. Egal wer es wird, der Erfolg des kommenden Cheftrainers ist auch die letzte Chance für Bernd Hoffmann.
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