Krise bei Schalke 04: Wie ein Todeskandidat
Schalke verliert in Enschede schon wieder. Manager Andreas Müller wirkt weiter ratlos. Beim immer noch hoch verschuldeten Klub macht sich Zukunftsangst breit.
Mit Schalke 04 ist es derzeit wie mit einem dieser furchtbaren Waldbrände in den Trockenwäldern dieser Erde. Es wird energisch gelöscht und viel gehofft, doch immer wieder entstehen neue Stellen, an der die zerstörerischen Flammen hervorzischeln. Am Abend der 1:2-Niederlage bei Twente Enschede im Uefa-Cup, flammte nun ein neuer Konfliktherd an besonders sensibler Stelle auf: zwischen Mannschaft und Fans. "Wir haben die Schnauze voll", und "Wir wollen euch kämpfen sehen", hatten die 2.500 tapferen Anhänger angesichts der fünften Niederlage aus den vergangenen sechs Partien gebrüllt. Das verletzte die Spieler. Nach dem Abpfiff verweigerten sie den Besuch in der Kurve. Gerald Asamoah war genervt: "Wenn die uns vorwerfen, dass wir nicht kämpfen, ist das ein Witz."
Die Schalker Sprachregelung sah anderes vor. "Wir waren sehr leidenschaftlich", lobte Trainer Fred Rutten nach dem bitteren Besuch bei dem Klub, für den er 25 Jahre als Spieler und Trainer aktiv gewesen ist. "Uns fehlt im Moment einfach das Glück", erklärte Rutten. Als hätten sie sich abgesprochen - und vielleicht haben sie das auch -, reduzierten die Schalker den Abend auf diese beiden Parameter: "gut gekämpft" und "kein Glück gehabt". Präsident Josef Schnusenberg fand ein besonders schönes Bild für die Situation: "Im Moment schaffen wir es, aus dem Kellerfenster zu fallen."
Ganz falsch war diese Analyse nicht. Das frühe 1:0 für die Holländer fiel aus klarer Abseitsposition (Robbie Wielaert, 2.), Asamoah vergab eine Großchance zum Ausgleich (19.), Heiko Westermann traf den Pfosten (41.) und vor dem 2:0 versprang der Ball so unglücklich, dass Torhüter Manuel Neuer chancenlos war (55.). "Wir sind eben in so einer Situation", sagte Rutten etwas ratlos, nun helfe nur das ewige Rezept für solche Fälle: "Arbeiten und kämpfen." Am Samstag spielt Hertha BSC Berlin in Gelsenkirchen, es wird spannend, wie das Publikum reagiert. Ebenso spannend bleibt aber die Frage, mit welchen Entscheidungen Aufsichtsratschef Clemens Tönnies und Präsident Schnusenberg die Schalker Krise mittelfristig bewältigen wollen.
Viele Beobachter glauben, die Entlassung von Andreas Müller in der Winterpause sei nicht mehr abzuwenden. Eine solche Entscheidung müssen die Klubchefs aber mit großer Besonnenheit treffen, schließlich ist Müller die einzige Instanz in der Schalker Führung mit sportlicher Kompetenz. Außerdem sind Sportdirektoren so selten in Deutschland, dass den Journalisten beim Spekulieren über mögliche Nachfolger nur völlig unwahrscheinliche Varianten (Lothar Matthäus, Volker Finke), Notlösungen (Olaf Thon, Peter Pander) oder Utopien (Klaus Allofs) einfallen.
Müller hofft also weiter auf seinen Verbleib in Gelsenkirchen. "Wir werden alle gemeinsam gestärkt aus der Situation herauskommen, in der wir zusammenstehen wie eine Wand", erklärte er voller Pathos. Auch der Manager beklagte fehlendes Glück und lobte das Engagement des Teams, das in der 77. Minute mit Asamoahs Anschlusstreffer zum 2:1 belohnt wurde. Immerhin haben sie eine theoretische Chance auf das Erreichen der nächsten Uefa-Cup Runde aus Enschede mitgebracht. Wenn am letzten Spieltag, an dem die Schalker nicht eingreifen, weder Paris St. Germain (gegen Enschede) noch Racing Santander (gegen Manchester City) gewinnen, dann steht Schalke auch mit vier Zählern unter den letzten 32 Teams des Wettbewerbs.
Das tröstete aber niemanden. Wie ein Todeskandidat will Schalke 04 vor allem eins: Zeit gewinnen. Zeit, die der Hoffnung auf ein Wunder neue Nahrung liefert. "Ruhe kommt nur, wenn endlich Siege kommen", sagte Schnusenberg, dabei können auch zwei erfolgreiche Bundesligaspiele zum Jahresabschluss kaum mehr bewirken als ein gut aufgelegtes Make-Up bei einer alternden Schönheit. Denn das Fundament der brisanten Lage bilden Fehler und hohe Risiken in der Konstruktion: ein Kader, der nicht zur Philosophie des Trainers zu passen scheint, ein Manager, dem ein funktionierendes internationales Netzwerk fehlt und der so viele unglückliche Entscheidungen getroffen hat, dass er kaum noch zu retten ist, ein enorm teures Gehaltsgefüge und ein so eng kalkuliertes Schuldenabbaukonzept, dass regelmäßige Europapokal-Teilnahmen sowie gelegentliche Champions-League-Auftritte unerlässlich sind. Eine explosive Mischung.
Irgendwann wurde Rutten in der Nacht von Enschede gefragt, was denn im Falle weiterer Rückschläge drohe. "Ich befürchte", hob er an, dann entschied er sich, den Satz unvollendet zu lassen. Niemand mag aussprechen, was alles passieren könnte in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten beim FC Schalke 04.
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