Kriminologin über amoklaufende Frauen: "Fast alle lösen ihre Konflikte friedlich"
Manche Mörderinnen nehmen ihre Kinder mit in den Tod, um ihnen vermeintlich Leid zu ersparen, sagt Kriminologin Justine Glaz-Ocik.
taz: Frau Glaz-Ocik, die Amokläuferin von Lörrach hat zuerst ihren Mann erschossen und danach ihren Sohn bewusstlos geschlagen, um ihn dann mit einer Plastiktüte zu ersticken. Warum bringt eine Mutter ihr Kind um?
Justine Glaz-Ocik: So merkwürdig es klingt, aber ein Teil der Täterinnen tut das aus Liebe. Einige der Mütter, die sich das Leben nehmen, fragen sich vorher: Was passiert mit meinem Kind, wenn ich nicht mehr da bin?
Ist das nicht eine narzisstische Haltung?
Das sehen wir Außenstehende so. Aber diese Täterinnen ticken anders. Sie wollen ihrem Kind Leid ersparen, jetzt und in der Zukunft. Insofern nehmen sie es lieber mit in den Tod. Fachleute nennen das "erweiterter Suizid".
Auch wenn es um Rache geht?
Es gibt natürlich auch Frauen, die wollen sich vor allem am Expartner oder anderen ihnen nahe stehenden Personen rächen. Da geht es in der Tat weniger um Liebe. Und es gibt Mütter, die empfinden ihr Kind als Störfaktor.
Die Täterin in Lörrach ist brutal vorgegangen. Wie passt das mit dem Mythos der friedfertigen Frau zusammen?
Weibliches Verhalten wird in der Regel mit Liebe und Wärme assoziiert, männliches eher mit Stärke und Verteidigung. Deswegen wirken diese Taten auch so verstörend auf uns. Denn wenn sich Frauen dazu entschlossen haben zu töten, können sie das mit großer Gewalt tun.
28, ist Kriminalpsychologin und Deeskalationstrainerin am Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt. Sie forscht unter anderem zu Tötungsdelikten an Kindern, zu Gewalt in der Beziehung und zu Stalking.
Trotzdem greifen Frauen öfter als Männer zum Gift.
Sie schlucken auch häufiger Medikamente, zum Beispiel Schlaftabletten.
Die meisten Frauen haben weniger Kraft als Männer.
Um jemanden umzubringen, beispielsweise durch Erwürgen, bedarf es viel der eigenen Körperkraft und Entschlossenheit. Frauen erdrosseln oder ersticken ihre Kinder, sie benutzen aber auch Waffen wie Messer oder Schusswaffen.
Schlummert in jeder Frau eine Mörderin?
Nein, das ist definitiv nicht so. Um so eine schwere Tat wie in Lörrach zu begehen, muss im sozialen Umfeld der Täterin sehr viel passiert sein. Fast alle Frauen lösen Konflikte friedlich. Das zeigt allein die Kriminalstatistik: Nur 4 Prozent der Amokläufer sind weiblich, die meisten Mörder sind männlich.
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