Kriminologe über das Phänomen Amoklauf: "Warnsignale erkennen"
Die Schule in Köln habe auf die Amoklaufgefahr richtig reagiert, meint der Kriminologe Frank Robertz. Doch ob junge Leute Gewaltfantasien in die Tat umsetzen, hänge von vielen Faktoren ab.
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BERLIN taz Ein verhinderter Amoklauf, ein Schüler, der sich das Leben genommen hat - besteht Gefahr, dass die Gesellschaft anlässlich des Themas Amok überreagiert? Nein, sagt der Berliner Kriminologe Frank Robertz, Mitautor des gerade erschienenen Buchs "Der Riss in der Tafel - Amoklauf und schwere Gewalt an Schulen". Die Schule in Köln habe richtig reagiert, den Schüler befragen zu lassen. "Für die Schule ist das eine schwierige Situation. Wenn sie nicht reagiert hätte, wären unter Umständen mehrere Schüler tot gewesen", sagt der Kriminologe.
Bei den jungen Männern, die eine solche Tat planten, handele es sich um Menschen "mit schweren Gewaltfantasien". Sie seien stets Außenseiter und Menschen, die "schwere Kränkungen" erlebt hätten. Wenn dann noch weitere Faktoren hinzukämen, "können die Gewaltfantasien realisiert werden". Man könne daher nicht sagen, ob es zur Ausführung der geplanten Tat komme oder nicht. "Diese Leute befinden sich auf einem Weg, der in eine Richtung führt", meint Robertz. Es sei nicht möglich, im Voraus festzustellen, warum der eine, der Amokfantasien habe, diese verwirkliche und der andere nicht.
Robertz bietet Lehrern Schulungen an, um mögliche Amokläufer frühzeitig zu erkennen. Zu den Schulungen aber kämen meist Polizisten oder Psychologen, berichtet Robertz. Lehrer zögerten, das Angebot anzunehmen. Dabei gebe es "Warnsignale", an denen man potenziell bedrohliche Schüler erkennen könne. Lehrer müssten aufmerksam werden, wenn Schüler klare Gewaltandrohungen äußerten oder ein starkes Interesse an den Details vergangener Amokläufe zeigten.
Die Rolle der Medien sieht Robertz ambivalent. Die Gefahr, dass Berichte über Amokläufer Nachahmungstäter anregten, sei groß. "Wenn ich könnte, würde ich jegliche Berichterstattung verbieten", sagt Robertz. Das Phänomen der Amokläufe von jungen Leuten in Schulen gebe es in Deutschland erst seit dem Massaker an der Columbine High School in Littleton im US-Bundesstaat Colorado. Dort hatten am 20. April 1999 zwei Schüler bei ihrem Amoklauf zwölf Mitschüler und einen Lehrer ermordet.
Auch der Suizidforscher Georg Fiedler sieht eine Gefahr in der ausführlichen öffentlichen Darstellung geplanter oder ausgeführter Amokläufe. Aus der Suizidforschung wisse man, dass eine geringere öffentliche Aufmerksamkeit und Berichterstattung Nachahmungstaten verhindere.
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