piwik no script img

Kriminalhörspiel im SWRWenn Lebensmodelle kollidieren

Trotz Goethe und Mozart: Das Kriminalhörspiel „Rabenkinder“ ist eine leise, aber konsequent scharfe Kakofonie verbaler Gewalt.

Auch so kann man mit Autoritäten verfahren: Lauter schreien und auf den Kopf sch... Bild: photocase / david-w-

Die Familie ist die natürliche Grundeinheit des Staates. So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Was nicht unbedingt heißen muss, dass innerhalb der Familie die Menschenrechte auch gelten. Wie aus häuslichem Frieden offene Feindschaft werden kann, erzählt das Kriminalhörspiel „Rabenkinder“.

Die Geschwister Robert und Ulrike Raab sind Anfang vierzig und schieben Frust. Er (Thomas Eisen) wäre gern Opernsänger geworden, fährt aber Taxi. Sie (Elisabeth Findeis) ist promovierte Architektin, muss sich aber von Job zu Job hangeln.

Schuld ist – so der gemeinsame Tenor – Patriarch Papa (Wolfram Berger), ein wohlhabender Wiener Juwelier, der nur brüllend gefordert und nicht liebevoll gefördert hat: „Er hat uns immer nur unser Scheitern und nie unser Glück prophezeit.“

Weil auch in Zukunft keine Subventionen zu erwarten sind, wird der Vater ausgeraubt. Doch dem Sohn, der sein Gesicht hinter einer Obama-Maske versteckt, geht die Luft aus. Er reißt sich atemlos die Plastikhaube vom Kopf. Also wird Überfall zur Entführung umfunktioniert. Die Beute und der geknebelte Papa werden im Keller eines leerstehenden Spielzeuggeschäfts geparkt.

In den Keller

Bis dahin könnte das Hörstück als etwas ungelenke Komödie durchgehen. Dann aber schickt Autor Johannes Gelich, seine Figuren nicht nur räumlich, sondern auch gedanklich zurück ins Souterrain einer freudlosen Kindheit. Das Hörspiel springt nun zwischen dem gemeinsamen Kelleraufenthalt und späteren polizeilichen Vernehmungsszenen hin und her. Aus einzelnen Gesprächsfetzen und Monologen wird ein atmosphärisch dichtes akustisches Tribunal montiert, dessen Dynamik die Opfer-Täter-Grenzen verschwimmen lässt.

Das Hörspiel

„Rabenkinder“, 22.30 Uhr, SWR 2

„Aus den eigenen Kindern sind diese Hyänen geworden, die dich zerfleischen wollen“, resümiert der Vater, der sich nach dem Krieg alles selbst erarbeitet hat. Sein zurückhaltender, musisch begabter Sohn ist für ihn „ein übergeistiges Schulmädchen“ geblieben. Hoffnungen hat er nur in seine selbstbewusste „männliche Tochter“ gesetzt. Als diese allerdings statt Jura Architektur studierte, war auch damit Schluss. Überhaupt hält er nicht viel von Frauen und ihrem „hinterlistigen Hausverstand“. Die Mutter ist in seinem Kopf nur als Scheidungsnotiz vermerkt.

Der Sohn wiederum hat seinen Vater stets als sprachlichen Militaristen erlebt: „Die Hälfte der Sätze waren Befehlssätze.“ Er ist seinen traumatischen Kindheitserfahrungen verhaftet geblieben, hat nur „Angst“ und artikuliert seine Furcht, indem er Goethe oder Mozart herbeizitiert. Seine auf Widerstand gepolte Schwester lastet ihrem alten Herrn offensiv zeitlebens mangelnde Unterstützung an. Sie fühlt sich „abgespeist“ wie die Lehrlinge im Schmuckgeschäft und gibt bis zum Schluss die direkte Anklägerin.

Ein Pistolenschuss

„Rabenkinder“ gerinnt über knapp 55 Minuten zu einer leisen, aber konsequent scharfen Kakofonie verbaler Gewalt, die erst am Ende mit Hilfe eines platzierten Pistolenschusses verstummt. Aus der natürlichen Grundeinheit des Staates wird im Keller des Spielzeuggeschäfts eine Terrorzelle. Hinter der selbstzerstörerischen Familiengeschichte verbirgt sich ein Konflikt in der konträre Lebensmodelle verwandter Generationen – zwischen „Tradition“ und „Selbstverwirklichung“ – unversöhnlich aufeinanderprallen.

Auch wenn Johannes Gelich seine Charaktere bewusst mit Stereotypen füttert, sie ins Extreme dehnt, zeigt er doch ein gesellschaftliches Versorgungsproblem auf, das immer größer werden wird. Die Frage wer für wen verantwortlich ist, gebiert Erbkrieger, denn „die Alten können nicht gekündigt werden, und die Jungen dürfen nur befristet arbeiten“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!