Kriegsverbrechen im Kongo: Aufklärung? Mission Impossible!
Der Kongo ist voller Opfer von Kriegsverbrechen – doch wer darüber aussagt, kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein. Ein kaum zu lösendes Problem.
GOMA taz | Das Armeehauptquartier in Nord-Kivus Hauptstadt Goma liegt inmitten eines Slums aus grünen Zelten. Hier hausen die Frauen und Kinder der Soldaten. Es stinkt. Das große steinerne Gebäude des Militärgerichtshofs sticht vor wie eine Festung.
Militärstaatsanwalt Oberst Bin Marten Baseleba studiert an seinem Schreibtisch handgeschriebene Dokumente. Sein Laptop neben ihm hat mal wieder keinen Strom. Daneben türmen sich Bücher über Kriegsverbrechen. Auf dem Schrank stapeln sich Kalaschnikows.
Der alte Mann kräuselt die Stirn: Der Hauptangeklagte im Prozess wegen einer Serie brutaler Massenvergewaltigungen ist gerade in Untersuchungshaft gestorben, „Todesursache unbekannt“, liest Baseleba laut vor und zuckt mit den Schultern. „Damit können wir dieses Verfahren auch ad acta legen.“
Schade. Das Verfahren wegen der Massenvergewaltigungen in Siedlungen rund um das Dorf Luvungi im Sommer 2010 begann 2011 in der Distrikthauptstadt Walikale. Militärrichter, Ankläger, Anwälte, Täter, Zeugen und Opfer waren da – eine Sensation. In aller Öffentlichkeit wagten die Frauen, gegen die Täter auszusagen. Ein Meilenstein. Aber er führt jetzt zu nichts.
In kaum einem Land ist es so schwer, Kriegsverbrechen aufzuklären, wie im Kongo. Die Siedlung Busurungi, wo die FDLR in der Nacht zum 10. Mai 2009 laut deutscher Anklageschrift 96 Zivilisten massakrierte, liegt fast einen Tag Fußmarsch von der nächsten Straße entfernt, die nur in Friedenszeiten passierbar ist, weil dort die FDLR Wegezölle erhebt. Kein Ausländer kann in FDLR-Gebiet eindringen, ohne Bescheid zu geben.
Wer fragt, fällt auf
Die Menschenrechtsabteilung der UN-Mission im Kongo (Monusco) fliegt ihre Ermittler per Helikopter ein. Doch vorher werden Sandsäcke und Stacheldraht angekarrt, damit der Helikopter sicher landen kann. Blauhelmsoldaten kommen, um die Ermittler zu schützen. Das fällt auf.
Die taz begleitete vergangenes Jahr eine UN-Ermittlungsmission, die den Berichten über die Massenvergewaltigungen bei Luvungi nachgehen wollte – unweit des damaligen FDLR-Hauptquartiers. Zwei zivile UN-Ermittler kamen, um in Luvungi mit Polizisten, Dorfvorstehern und vergewaltigten Frauen zu sprechen. Man sollte meinen, diese Gespräche fänden in vertraulicher Atmosphäre statt. Doch der weiße UN-Hubschrauber war noch nicht einmal gelandet, als sich die ganze Dorfgemeinschaft auf dem Fußballplatz versammelte.
Als die UN-Delegierten die Hauptstraße entlanggingen, sammelten sich weitere Neugierige am Wegrand. Anwohner kamen aus den umliegenden Siedlungen angelaufen. Auf dieser 48-Stunden-Kurzmission interviewten die Ermittler auch Opfer – mitten im Dorf, auf einer Holzbank unter einem Baum.
Auch die taz sprach damals mit vergewaltigten Frauen in Luvungi – in einer dunklen Hütte. Die taz nannte ihre Hauptzeugin damals Marie. Marie war tapfer, sie erzählte ihre Geschichte. Sie war wütend über die Straflosigkeit in ihrem eigenen Land. Sie hatte von dem Prozess gegen die FDLR-Führung in Deutschland gehört und bot an: „Wenn noch Zeugen benötigt werden, bin ich gerne bereit auszusagen.“ Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs machten sich nach der taz-Berichterstattung auf die Suche nach Marie. Die Ergebnisse sind nicht bekannt.
Racheaktionen
Man kann nur hoffen, für Marie und ihre fünf Kinder, dass sie niemals öffentlich vor Gericht aussagen wird. Luvungi liegt mitten im FDLR-Territorium. Zur Zeit des Besuchs waren die Kämpfer wenige Stunden Fußmarsch von dem Dorf entfernt. Die Bewohner bestätigen, dass die FDLR überall ihre Spitzel habe. Dass die UN eingeflogen kam, dass Marie befragt wurde, haben sie sicher weitererzählt. Würde Marie eines Tages aus Luvungi, wo jeder jeden kennt, verschwinden und Wochen später zurückkommen, dann ließe sich leicht erraten, wofür. Und die FDLR ist berüchtigt für Racheaktionen.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist ebenso wie die deutsche Bundesstaatsanwaltschaft bei der Suche nach Zeugen auf sogenannte Mediatoren angewiesen. Das sind in der Regel lokale Nichtregierungsorganisationen, die Zeugen finden, betreuen, nach Europa begleiten und nach der Rückkehr beschützen. Würde Marie aussagen, müssten solche Mediatoren mit ihr über Jahre hinweg regelmäßig in Kontakt stehen.
In Luvungi wäre dies nicht möglich: Es gibt gar kein Mobilfunknetz. Also müsste Marie mit ihren fünf Kindern und dem Mann umziehen – am besten nach Goma, wo sie in der Millionenstadt anonym leben kann. Doch dazu müsste sie ihren Acker und damit ihre Lebensgrundlage im Stich lassen. Auch ihre gebrechliche Mutter und ihre kranke Tante müssten mit. Und wer würde ihr Wohnung und Nahrung in Goma bezahlen – ein Leben lang?
Um in Stuttgart oder Den Haag auszusagen, würde Marie einen Reisepass benötigen. Doch dazu muss man im Kongo den Behörden erklären, wo man hinwill und warum. Die FDLR hat Spitzel überall in Kongos korruptem Behördenapparat.
Die taz konnte das Original-Spitzelnetzwerk des FDLR-Geheimdienstchefs besichtigen, aufgezeichnet auf einem großen Poster, mit Namen und Telefonnummern der Informanten: Bis in die Präsidentschaft in Kinshasa, die Migrationsbehörde und in die Krankenhäuser reichten die Seilschaften – vor allem in Goma, wo FDLR-Kommandeure in Immobilien und Firmen investieren.
Ein zentrales Problem ist, dass die Namen der Nichtregierungsorganisationen oder deren Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden können. Dies macht es schwer, deren Interessen zu überprüfen. Das ist in den Prozessen in Den Haag immer wieder Thema.
In der Regel sind es örtliche Menschenrechtsorganisationen, doch sie sprechen nur ungern über ihre Methoden. Auf jeden Fall machen sie es wohl nicht wie die Bundesanwaltschaft, als sie nach Goma kam, um in Sachen FDLR zu ermitteln. Damals verweigerten manche UN-Angestellte die Zusammenarbeit. „Sie kommen in großen Delegationen in Anzug und Krawatte – wenn man sich mit ihnen im Restaurant treffen würde, weiß gleich die ganze Stadt Bescheid“, erinnert sich ein Augenzeuge an die Deutschen.
Kulturelles Verständnis
Wie man die Glaubwürdigkeit von Zeugen prüft, ist ein gut gehütetes Geheimnis der lokalen NGOs. Jede Offenlegung könnte bedeuten, dass man in Zukunft falschen Zeugen auf den Leim geht. In Stuttgart ging aus abgehörten Telefongesprächen der FDLR-Führung hervor, dass sie überlegte, FDLR-Kämpfer in Busurungi als Bauern zu verkleiden, um Falschaussagen zu machen.
Für Interviews mit Zeugen ist interkulturelles Verständnis vonnöten. Nur selten können Menschen aus abgelegenen Dörfern ein konkretes Darum nennen. Sie orientieren sich an Erntezeiten, am Beginn des Schulsemesters, sie kennen Markttage und Tage des Kirchgangs.
Opfer- wie Täterzeugen sind in der Regel außerdem stark traumatisiert. Dies kann dazuführen, dass Abfolgen durcheinanderkommen oder dass entscheidende Ereignisse verdrängt werden. Zu genaue Angaben lassen eher darauf schließen, dass die Zeugen etwas vorher auswendig gelernt haben. Zentral ist auch, was der Zeuge selbst gesehen hat und was er nur vom Hörensagen weiß. Dies wird oft nicht sofort ersichtlich.
Wichtig ist, Zeugen einen Raum zu geben, in welchem sie sich wohlfühlen. Einen ehemaligen Kämpfer aus dem Busch in einem noblen Vier-Sterne-Hotel voller Geheimdienstler zu befragen – das scheint ebenso fragwürdig wie ein leerer Raum mit einer für das kongolesische Opfer ungewohnten Videokamera, deren Schaltung nach Stuttgart führt.
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