Kriegsfotograf Robert King: „Ich bin mehr der Wodka-Typ“
Er ist ein harter Hund. Doch nach Erlebnissen in Homs hat Robert King, Kriegsfotograf aus Memphis, erstmals genug von Gewalt und Elend. Eine Begegnung in Beirut.
BEIRUT taz | „Das war das Schlimmste, was ich je gesehen habe“, rief mir Robert King aufgebracht ins Telefon entgegen, als er mit einem illegalen Krankentransport das sichere, hedonistische Beirut erreicht hatte.
Sechs Wochen lang war er in Homs gewesen, einer Stadt, die der Weltöffentlichkeit herzlich egal gewesen war, bis sie zu dem Symbol für die Brutalität des Assad-Regimes in Syrien wurde. „Es war schlimmer als Srebrenica!“, schrie Robert und konnte gar nicht mehr aufhören zu sprechen. Ich fragte, ob wir nicht jetzt sofort ein Bier zusammen trinken wollten.
„Ich bin mehr der Wodka-Typ.“ Mir war schon klar, dass diese Art von hartgesottenen Fotojournalisten Bier nur trinkt, wenn es gar nichts anderes gibt. Was ich sagte, war, dass ich das mit dem Wodka schon wüsste, dass es in meiner Kultur aber als sehr unhöflich gelte, jemanden gleich als harten Trinker einzuschätzen. Das gefiel Robert. Wir trafen uns bei 32 Grad und Sonnenschein um 18 Uhr in einer Bar.
Er kippte zwei Drinks on the Rocks und deutete an, dass er von einem in Ruhe genossenen Joint träumte. Wir kauften eine Pulle Wodka und gingen zu mir. Klar kam sofort die Frage auf, ob er unter posttraumatischen Belastungsstörungen leide, und natürlich stritt er das ab, so wie es alle Kriegsreporter, die ich kenne, abzustreiten versuchen.
Sein Leben in Memphis, Tennessee, von wo aus er sich seit fast 20 Jahren in die Kriegsgebiete dieser Welt aufmacht, nur mit Kamera und breitem Südstaatenslang bewaffnet, erde ihn. Frau, 25-jährige Stieftochter, neunjähriger Sohn, Jagen und Angeln. Sechs bis acht Stück Rotwild reichten, um die Familie ein Jahr lang mit Fleisch zu versorgen, erzählt er.
reist seit 1993 gezielt in Kriegsgebiete, um Fotos zu schießen. Robert Kings mehrfach preisgekrönte Fotos wurden in Life, der New York Times, Time, The Guardian und anderen Magazinen veröffentlicht. Man findet sie in Museen und Privatsammlungen auf der ganzen Welt, bis zum 23. Juni sind auch einige auf dem Browse Fotofestival in Berlin zu sehen.
Kings Karriere als Fotojournalist wurde in dem preisgekrönten Dokumentarfilm Shooting Robert King dokumentiert, der am Mittwoch, 20. Juni, um 19 Uhr auf dem Browse Fotofestival gezeigt wird. Bei der anschließenden Fragerunde wird auch King anwesend sein.
Foto-Idioten ohne Berufs-Moral
Mit acht Jahren lernte er schießen, ganz normal im Süden der USA. Im Einsatz aber trägt er nie eine Waffe, nicht einmal ein Taschenmesser. Mit Verachtung berichtete er über zwei amerikanische „Foto-Idioten“, die sich in Libyen Knarren geben ließen und mit den Aufständischen von Hausdächern aus ihre Sniper-Qualitäten an Gaddafis Soldaten erprobten. „Keine Moral, keine Ethik mehr in diesem Job, eine Katastrophe!“
Ich fand die Geschichte widerlich, bekam eine Gänsehaut. Die ätzenden Gerüchte aus Kollegenkreisen stimmten also. Ich trug ein enges weißes T-Shirt, mir gingen nicht nur die Nacken- und alle anderen Körperhaare durch, sondern auch die Brustwarzen bohrten sich ins T-Shirt. Ich hätte jede Wette gehalten, dass Robert die sechs Wochen, in denen er unter anderem bei Dr. Kasim, dem Arzt, dessen freiwilliger Hilfseinsatz ihn für das syrische Regime zum Terroristen macht, kein einziges Mal an Sex gedacht hatte.
Robert sagte, er versuche an das zu glauben, was er früh von älteren Kollegen gelernt habe: in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit zu leben. Dass sei die beste Methode, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) vorzubeugen.
Ich habe viele Gespräche mit Offizieren der Bundeswehr geführt, die selbst genauso wie ihre Untergebenen oftmals nicht einmal ansatzweise das haben miterleben müssen – und hoffentlich auch nie erleben müssen – was Robert in Dr. Kasims Feldkrankenhaus durchlebte. Danach sehe ich das heute kritischer. Sprechen helfe, sagen die Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, aber Alkohol solle nach Meinung vieler im Einsatz komplett verboten werden. Alkohol generiere nur neue Probleme. Sport, Liebe, Hobbys. Liebe machen – das helfe. Kein schneller gefühlloser Sex mit irgendwem.
Robert hat seit Beginn seiner Karriere Anfang der 90er viel gesehen, durch seine Arbeit in Bosnien, Tschetschenien, Libyen und anderen Kriegen. Doch für seine Zeit in Dr. Kasims Feldkrankenhaus in Kusair bei Homs half ihm das nicht. Rund um die Uhr werden Verwundete angeliefert, in den umliegenden Häusern sind Betten, Sofas und die Fußböden voll mit Menschen, deren Wunden heilen, Menschen, die verrecken, die schreien, die weinen. Klar, dass ihm da die Toten lieber sind: Im Leichentransporter schreit niemand, keiner braucht Hilfe, niemand stiehlt Emotionen.
Bilder gehen in die Tiefe
Der Joint wirkte. Robert schaute in den nächtlichen Himmel eines der charmantesten Stadtteile Beiruts, in denen es hübsche Boutiquen, Biobrot, Sushi und französische Kindergärten gibt, in denen die Mütter ihrer Kids den ganzen Tag per Webcam beobachten können. Dichte Bäume, die zwischen den zuckersüßen Häuschen im osmanischen Stil wild wuchern. Hibiskus an den Wänden, Jasminblütenduft in der Luft. Spannung fiel von ihm ab. Er wirkte jetzt relaxt und glücklich, noch am Leben zu sein. Meine Einladung, am nächsten Tag mit zum Yoga zu kommen, ließ er abprallen.
Bei einer illustren Journalistengruppe, die am darauf folgenden Tag in einer coolen Bar feierte, wurde er nicht alt. „Journalisten“, sagte er voller Verachtung, würden ihn niemals akzeptieren, für die bliebe er immer nur ein „Fucking Redneck“.
Dabei macht er als Fotojournalist nicht nur Bilder, sondern beschreibt auch die Personen, Umstände und Zusammenhänge. Damit ebendiese Journalisten, die ihn aufgrund seiner Herkunft verachten, ein Bild für ihre in New York, London und sonst wo auf der Welt zusammengegoogelten Expertisen nutzen können.
Robert ging in eine andere Bar, ließ sich wieder komplett volllaufen. Wie schon am Tag zuvor, als er in der Lobby des Hauses in Beirut, in dem er untergebracht war, besoffen umfiel und einschlief.
„Syrien war zu viel für mich“
Am nächsten Tag rief er mich an: „Weißt du was, Syrien war zu viel für mich. Ich denke, ich sollte mal einen Psychologen aufsuchen.“ Ich gratulierte ihm zu seinem Vorhaben. Schön, dass ein neuer Freund sich helfen lässt, bevor er wie so viele US-Soldaten Suizid begeht, weil man der Vergangenheit eben nicht entfliehen kann.
Robert mag vieles sein: eigenbrötlerisch, ehrenvoll, auf der Suche nach Wahrheit, komplett bescheuert, traumatisiert – aber vor allem ist er eine einfache, ehrliche Haut aus Amerikas Süden mit einem schwarzen Humor.
Er gibt zumindest vor, hohe moralische und ethische Forderungen an sich selbst zu stellen und er hat sich vielleicht gerade selbst zerbrochen, weil er sich zu viel zugemutet hat: mit Assad, mit Homs, mit den Toten eines Kriegs, in dem es nicht reicht, ein harter Redneck zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus