Krieg in Afghanistan: US-Militär startet Großoffensive
4.000 US-Marines unterwegs in Helmand. Operation spiegelt neue Afghanistan-Strategie Obamas wider. Provinz steht unter Kontrolle der Taliban
US-Truppen haben in der Nacht zu Donnerstag mit einer Großoffensive gegen Taliban in Helmand, einer der kritischsten Provinzen im Süden Afghanistans, begonnen. 4.000 Marineinfanteristen, die von 650 Soldaten der afghanischen Sicherheitskräfte verstärkt wurden, seien an diesem ersten großen Angriff auf Taliban und Aufständische seit der Amtsübernahme des US-Präsidenten Barack Obama beteiligt, erklärten US-Militärquellen am Donnerstag. Die Operation heiße "Chandschar" (Schwertstreich).
Es sei der größte und schnellste US-Militäreinsatz seit der Offensive im irakischen Falludscha 2004, sagte US-Brigadegeneral Larry Nicholson. Die Provinz Helmand werde einen tiefgreifenden Wandel erleben. "Wir gehen dorthin und wir werden dort bleiben. Wir arbeiten auf einen Übergang der Verantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Streitkräfte hin." Provinzgouverneur Gulab Mangal begrüßte die Offensive.
Zahlen über Erfolg oder Misserfolg, über getötete Taliban oder Zivilisten oder über eigene Opfer lagen zunächst aus seriösen Quellen nicht vor. Taliban-Sprecher Kari Jussif Ahmadi sagte der Agentur dpa morgens, die Aufständischen hätten "mehr als ein Dutzend" ausländische Soldaten getötet. Bestätigt wurden Berichte von der Entführung eines US-Soldaten in der Provinz Paktika vor drei Tagen, die aber nichts mit der Offensive zu tun hat.
Die US- und afghanischen Chandschar-Truppen operieren unter dem Isaf-Mandat, das 42 Nationen vereint. Isaf-Sprecher Eric Tremblay sagte zur taz, das Tal des Flusses Helmand solle unter Kontrolle genommen werden. "Sobald wir das Gebiet gesichert haben, werden wir gemeinsam mit dem Gouverneur, den Dorfältesten und allen anderen denkbar Beteiligten dafür sorgen, dass es dort demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau geben kann", erklärte Tremblay. Transparenz und Kooperation bis auf die lokale Ebene seien Teil des Strategiewechsels unter dem neuen US-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal.
Im benannten Gebiet südlich der Provinzhauptstadt Laschkar Gah waren bislang keine nennenswerten US- oder Nato-Truppen aufgetreten. Helmand ist die Opiumprovinz Nummer eins in Afghanistan und damit der ganzen Welt - hier befand sich noch 2007 über die Hälfte der gesamten afghanischen Opium-Anbaufläche. Große Teile der Provinz werden seit dem Einmarsch von US- und Nato-Truppen 2001 in Afghanistan von den Taliban kontrolliert, die sich nach Erkenntnissen von Nato und Entwicklungshelfern mit Opiumhandel liquide halten.
Die sorgsame Medienarbeit durch die Isaf- und US-Pressestäbe ließ am Donnerstag darauf schließen, dass eine intensive Berichterstattung zur Offensive gewünscht war. Amerikanische Nato-Offizielle beklagten jüngst gegenüber der taz, dass die Taliban in ihrer Pressearbeit bislang weit geschickter und erfolgreicher seien als Nato und USA. Der neue US-Botschafter in Afghanistan Karl Eikenberry, der 2005 bis 2007 auch Kommandeur der US- und Nato-Truppen dort war, erklärte der taz vergangene Woche: "Wir finden nicht die richtige Balance dabei, effektiv das zu kommunizieren, was wir hier tun."
Die Offensive in Helmand ist nun die erste Großaktion im sogenannten "uplift", also der Verstärkung der US-Truppen in Afghanistan um 21.000 Soldaten auf etwa 68.000 in diesem Jahr. Auch die 4.000 in der Operation "Schwertstreich" eingesetzten US-Marines sind im Rahmen dieser Truppenaufstockung nach Afghanistan gekommen. Helmand wird in der Nato als Hauptziel des "uplift" bezeichnet. In der Region um Laschkar Gah hat die Zahl der Attacken und Sprengfallen in der Straße zuletzt stark zugenommen. Die seit 2006 dort eingesetzten Briten (und einige Dänen) waren nach Nato-Angaben mit der Situation überfordert.
Ziel des "uplift" ist unter anderem, in den südlichen Problemprovinzen die Taliban und die sonstigen Aufständischen so weit zurückzudrängen, dass die Präsidentschaftswahlen im August dieses Jahres nicht gefährdet sind. Bislang ist offen, ob die Taliban sich tatsächlich schlagen lassen - oder bloß in die Nachbarprovinzen nach Westen und Norden ausweichen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen