: Krieg in Afghanistan: Die Welt schaut weg
■ Nachbarstaaten halten ihn am Leben
Neu-Delhi (taz) – Mit allen Mitteln klammert sich Afghanistans Präsident Rabbani an die Macht. Am 28. Juni 1994 hatten selbst seine Rivalen ihr Artilleriefeuer zurückgehalten, weil sie ein Friedensangebot erwarteten. An diesem Tag sollte er gemäß der letztjährigen Islamabad-Vereinbarung zurücktreten. Noch eine Woche zuvor hatte Ismael Khan, der starke Mann der westlichen Herat- Provinz, ihn von seinem Plan zu überzeugen versucht, das Präsidentenamt einer neutralen Persönlichkeit und einem paritätisch zusammengesetzten Rat zu überlassen. Rabbani dachte nicht daran, den Vorschlag des ihm freundlich gesonnenen Khan zu folgen. Statt zurückzutreten, antwortete er mit Kanonendonner. In der größten Offensive seit Beginn des Bürgerkriegs am 1. Januar 1994 griff er strategische Stellungen von Gulbuddin Hekmatjar und Rashid Dostam in der Hauptstadt an und zwang seine Gegner, sich bis auf 25 Kilometer zurückziehen.
Für die beiden Mudschaheddin- Führer hieß die Losung daraufhin ein weiteres Mal Kampf bis zum Endsieg. Neben dem Krieg um Kabul und die strategische Salang-Straße im Norden flammten auch in der südlichen Stadt Kandahar Kämpfe rivalisierender Kommandanten auf.
Erstmals griff Dostam auch die Stadt Herat im Westen aus der Luft an. Vermittler haben schlechte Karten: Der Generalsekretär der Organisation Islamischer Staaten, Hamil Al-Ghabid, wurde bei seiner Ankunft in Kabul mit einem Bombenhagel aus den Kanonen Hekmatjars begrüßt. Er brach seine Mission ab, noch bevor sie begonnen hatte. UNO-Vermittler Mahmoud Mestiri benötigte drei Monate, um dem Sicherheitsrat seine Empfehlungen zu unterbreiten. Diese gipfeln in der wenig originellen Feststellung, daß ein Friede ohne die aktive Beteiligung der Nachbarmächte keine Chancen habe – kaum verhüllter Hinweis darauf, daß Pakistan, der Iran, Saudi-Arabien und zentralasiatische Republiken den Konflikt weiterhin am Leben erhalten.
Mestiris Bericht warnt auch vor der Ausweitung des Opium-Anbaus, der als Finanzierungsquelle für die afghanischen Warlords dient und gleichzeitig den dringend nötigen Weizenanbau einschränkt. In Kabul ist jetzt nur noch eine internationale Hilfsorganisation tätig, das Internationale Rote Kreuz IKRK. Nach ihren Schätzungen hat sich die Bevölkerung der Hauptstadt seit Januar von ungefähr 1,4 Millionen um eine halbe Million vermindert. 4.000 starben, die meisten Einwohner flohen in Richtung pakistanischer Grenze.
Sie sind heute, nachdem Pakistan seine Grenzen dichtgemacht hat, in zwei großen Lagern in Jalalabad untergebracht, die vom IKRK und dem UNO-Flüchtlingswerk betreut werden. Tägliche Konvois über den Khyber-Pass schaffen Nahrungsmittel, Medikamente und vor allem das kostbare Wasser heran, über dessen Verteilung immer wieder Schießereien ausbrechen. Angesichts der internationalen Apathie haben die Hilfsorganisationen Mühe, die nötigen Finanzen aufzubringen. Von den benötigten 62 Millionen Dollars konnte das UNHCR bisher gerade fünf Millionen mobilisieren.
Auch in Kabul herrscht laut Angaben des IKRK akute Wassernot, mit der damit verbundenen Gefahr eines Epidemienausbruchs. Nahrungsmittel finden immer noch den Weg in die Hauptstadt, sind aber inzwischen für die Ärmsten unerschwinglich geworden. Die hohen Preise lassen ihnen nur die Wahl zwischen Hunger und Flucht. Die Granaten treffen ohne militärische Logik und ohne Warnung. So laufen die vom IKRK unterstützten drei Spitäler und 45 Notfallstationen auf Hochtouren. Bernard Imhasly
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