Krieg der Einsamen

■ Premiere von „Schneidbrenner/Kidnapper“ beim JAK

Nach dem expressiven Ausbruch Pickel Grab Ferrari in der Regie der Tanzchoreografin Viviene Newport, einer für das Jugendtheater sicherlich vehement formsprengenden Arbeit, wirkt die neue Magnus Dahlström-Doppelpremiere Schneidbrenner/Kidnapper wie ein Stoßdämpfer. Doch der Rückschlag der Beschleunigung befreit ja durchaus angenehme körperliche Empfindungen, und dem ähnlich sind die zwei Einakter in ihrer „gewöhnlichen“ Jugendtheaterform durchaus keine Enttäuschung.

In Kidnapper zeigt Esther Linkenbach aufs eindringlichste, wie ein Monolog unter Aussparung fast aller formalen Experimente theatralisch belebt werden kann. Ein Mädchen, getrieben von menschlichen Enttäuschungen und der Versagung von Zärtlichkeit, vorwärtsstürmend auf der Grenze zwischen extrem sensibler Intelligenz und Wahn, führt ein Selbstgespräch mit einem gefesselten und geknebelten Wesen in einem Spind. Erinnerungen und Projektionen, selbstgestrickte Philosophie und absurde Betrachtungen verschlingen sich in dem Mitteilungszwang des Mädchens zu einem Porträt, das in seiner Unerklärtheit ein facettenreiches Bild zeigt.

Dabei bleibt die Motivation für das Kidnapping ebenso im unklaren, wie die entführte Person: geht es um Erpressung, um Rache oder letztlich doch nur darum, endlich jemand zu „besitzen“, der zuhören muß, ohne widersprechen zu können? Angst und Sehnsucht treffen sich immer wieder, wenn das Mädchen in dem expressionistischen Keller (Bühne: Katrin Steck) mit der Taschenlampe in den Spind leuchtet, um nachzusehen, ob „Arne“ (so ihr erfundener Name für die Person), auch „mitdenkt“. Ulrike Sewings Regie legt Wert darauf, das zutiefst kindliche des scheinbar so entschlossenen Mädchens zu zeigen. Hypermotorisch und aggressiv aus Hilflosigkeit macht sich die Überforderung durch die selbstgeschaffene Situation immer wieder in gewalttätigen oder weinerlichen Momenten Luft. Eine äußerst präzise Studie ohne pädagogischen Brummton.

Das zweite Stück des zweistündigen Abends Schneidbrenner, wiederum von Magnus Dahlström, diesmal inszeniert von Jürgen Zielinski, erreicht nicht sofort diesselbe Dichte. Doch im Verlauf des Hahnenkampfes zwischen den beiden Bauarbeitern Jonny (Hans Gröning) und Ove (Heinz Lieven) werden die Verhaltensmuster schärfer und der Wille von Jonny, Ove mit Provokationen und Unterstellungen niederzuringen, bekommt durch Oves schwache, aber menschlich integre Haltung einen spannenden Widerpart. Jonny, der junge Kollege, der sich für etwas besseres hält und den die nachgebenden Art Oves in seinen primitiven Herrschaftsinstinkten juckt, behauptet, dieser hätte den Schneidbrenner angelassen. Bis zum Schluß erfährt man zwar nicht, ob es sich dabei um eine gemeine Erfindung oder eine tatsächliche Sabotage Jonnys handelt, der Ove so dazu zwingen will, gegen sein eigenes sicheres Gefühl zu handeln und in die Baracke zu gehen, um den Schneidbrenner abzustellen. Man erfährt nicht einmal, ob der Schneidbrenner tatsächlich noch Gas verströmt. Aber dafür liefert auch dieses Stück des jungen schwedischen Autors genaue Beobachtungen über alltägliche Kommunikations-Katastrophen. tlb