Kremltreue zeichnet sich aus: Das große Umverteilen in Russland
Russland steckt tief in der Rezession. Imperien, die eben noch millardenschwer waren, stürzen ab. Davon könnten die staatsnahen Unternehmen der "Kreml AG" profitieren.
Russlands Währungsreserven sind durch massive Stützungskäufe für den schwachen Rubel und Konjunkturprogramme unter 400 Millionen Dollar gesunken. In der Vorwoche hätten die Gold- und Devisenreserven um 30,3 Milliarden abgenommen, von 426,5 Mrd. Dollar (328 Mrd Euro) auf 396,2 Mrd. Dollar, teilte die Zentralbank in Moskau laut der Nachrichtenagentur Interfax mit. Russlands Währungsreserven, bislang die weltweit drittgrößten nach denen in China und Japan, sind in der Krise bereits um ein Drittel geschrumpft. Die Zentralbank ist von ihrer bisherigen Politik milliardenschwerer Stützungskäufe für den Rubel abgerückt. Daraufhin fiel der Kurs der russischen Währung gegenüber dem US-Dollar auf ein historisches Tief. dpa
Nichts schien ihn aufzuhalten. Die Nachrichten, die Oleg Deripaska mit seiner Holding Basic Element (Basel) in den letzten Jahren produzierte, drehten sich ausschließlich um Expansion. "Deripaska macht sein Geld derart rasend, wie andere um ihr Leben kämpfen", schrieb die Zeitschrift Forbes, die ihn im Vorjahr als reichsten Russen mit einem Vermögen von schätzungsweise 28 Milliarden Dollar ausmachte. Selbst formulierte es der 40-jährige studierte Physiker etwas anders: "Es ist schwer am Start. Aber wenn wir einmal in Fahrt sind, kann uns keiner stoppen", sagte er.
Was keiner konnte, bewirkte plötzlich die Finanzkrise. Im Eiltempo musste Deripaska schon im Oktober seine Auslandsbeteiligungen - etwa am deutschen Baukonzern Hochtief - seinen Gläubigerbanken abtreten. Und damit diese nicht auch noch seine russischen Aktiva einkassierten, sprang der Staat kurzfristig ein.
Wer hoch aufsteigt, kann tief fallen. Auf 28,4 Milliarden Dollar bezifferte das Wirtschaftsjournal SmartMoney Deripaskas Verlust. "Ein Imperium auf Pump", titelte die Zeitung Wedomosti. Und Deripaska ist kein Einzelfall.
Der Wirtschaftsboom seit dem Jahr 2000 mit jährlichen Wachstumsraten von über 7 Prozent basierte zwar in erster Linie auf den hohen Öl- und Rohstoffpreisen, er verdankte sich aber auch einer ausgelassenen Kreditfreudigkeit. Ganze 488,3 Milliarden Dollar an Auslandsschulden haben russische Firmen und Banken bis Juli 2008 angehäuft. 47 Milliarden Dollar waren 2008 fällig, 110 Milliarden Dollar sind es heuer. Der Staat hat schnell einmal 50 Milliarden Dollar zur Überbrückung bereitgestellt. Schon aber liegen Anträge auf staatliche Hilfe in Höhe von 78 Milliarden Dollar vor. Alles was Rang und Namen hat, wird zum Bittsteller.
Die Finanzkrise hat Russland mit voller Wucht getroffen. Zum Liquiditätsengpass nämlich gesellt sich der Ölpreisverfall. Fatal für ein Land, das einseitig vom Rohstoffexport abhängt und in den fetten Jahren nichts zur Überwindung dieser Einseitigkeit getan hat. War das Barrel Öl im Sommer noch mit 147 Dollar gehandelt worden, kostete es schon bald weniger als 50 Dollar.
"Am Montag, dem 15. September, als die Lehman Brothers umfielen, wurde klar: Es passiert eine Katastrophe", erinnert sich Ruben Wardanjan, Chef der russischen Investmentbank Troika Dialog. Die Katastrophe greift in atemberaubendem Tempo um sich. Der Leitindex RTS übertraf den weltweiten Abwärtstrend und brach binnen einem Jahr um 73 Prozent ein. Ausländische Kreditlinien wurden geschlossen, inländische Geldinstitute gaben kein Geld mehr aus. Um ganze 8,7 Prozent sank die Industrieproduktion im November gegenüber dem Vergleichszeitraum 2007, die real verfügbaren Einkommen sanken um 6,2 Prozent. Erstmals seit zehn Jahren wird das Bruttoinlandsprodukt abnehmen. Die bisher niedrige Arbeitslosenquote beginnt zu steigen.
"Die Rezession hat bereits begonnen und wird, so fürchte ich, nicht in zwei Quartalen beendet sein", sorgte Vizewirtschaftsminister Andrej Klepatsch vor wenigen Wochen für einen Paukenschlag. Die offizielle Wachstumsprognose für 2009 klingt zwar optimistischer, ist aber auch bereits auf 0 bis 2 Prozent heruntergeschraubt und bedeutet in jedem Fall einen empfindlichen Einbruch gegenüber 8,1 Prozent 2007 und etwa 6 Prozent 2008.
Gewiss, die Regierung reagierte schnell, verhinderte den Zusammenbruch des Bankensystems und stellte bis heute insgesamt 220 Milliarden Dollar an Stützungsgeldern und 100 Milliarden Dollar an institutionellen Maßnahmen wie Steuersenkungen zur Verfügung. Im Unterschied zum Rubelcrash 1998 hat der Staat heute das Geld. Und zwar mehr als die berüchtigten Oligarchen, die in den 90er-Jahren das Sagen hatten und von Wladimir Putin an die Leine gelegt wurden.
Auf Kritik stößt nicht nur, dass die durch die Krise verängstigte Staatsführung das Geld immer mehr nach dem Gießkannenprinzip aus dem Fenster wirft und abermals auf keine Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur zielt. Beobachter befürchten auch, dass die Finanzkrise den Vorwand liefert, eine temporär gerechtfertigte Intervention zur Ausweitung des Staatseinflusses in der Wirtschaft zu nützen.
Gewinner der Krise könnte somit jenes Firmen- und Bankengeflecht sein, das de facto von Putin-getreuen Geheimdienstaufsteigern beherrscht wird und als "Kreml AG" firmiert. Schon lange gelten sie als die neue Oligarchen. Eine große Zukunft etwa wird Putin-Intimus Juri Kowaltschuk verheißen, der mit seiner Bank Rossija Milliarden-Aktiva von Gazprom und Medienunternehmen hortet. Oder dem Ölkonzern Surgutneftegaz, der mit seiner Sparpolitik alle an Liquidität übertrifft.
Aber auch vereinzelte Vertreter der traditionellen Oligarchenschicht werden Leckerbissen bei der großen Besitzumverteilung erhalten. Allen voran Potanins Expartner Michail Prochorow. Die Nummer 5 der russischen Forbes-Liste mit schätzungsweise 22,6 Milliarden Dollar Vermögen verdiente durch Anteilsverkäufe im Frühjahr 10 Milliarden Dollar. Schon geht der 43-Jährige auf Einkaufstour. Für 500 Millionen Dollar übernahm Prochorow 50 Prozent an der Investmentbank Renaissance Capital. Die wurde vor einem Jahr noch auf 7 bis 10 Milliarden Dollar taxiert.
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