piwik no script img

Kreaturen, die die Welt nicht brauchtDer juckende Kopfbesetzer

Die Artenvielfalt ist dabei, es auf die Agenda der internationaler Politik zu schaffen. Aber muss wirklich jede Art überleben? Etwa die Kopflaus? "Nein!", sagt die taz.

Auch andere Primaten sind von Läusen geplagt. Sie haben aber mehr Zeit zur Bekämpfung Bild: dpa

BERLIN taz Die Läuse kommen. Denn mancher liest die Gebrauchsanweisung für Anti-Läuse-Sprays, Gels und Shampoos nicht genau. Er dosiert die Mittel zu gering oder benutzt sie nicht lang genug. Birgit Habedank vom Umweltbundesamt warnt: Pediculus humanus capitis könne so die Prozedur überstehen - und resistent werden.

Dabei gehört die Laus zu den Arten, von denen der Mensch gerne Abschied nehmen würde. Habedank: "Das sind reine Parasiten." Für sie gibt es hier keinen Artenschutz: Läuse sind nur lästig. "Weder sind sie alternative Nahrungsquelle noch sonst wichtig fürs Ökosystem", meint die Expertin. Habedank ist zuständig für die Prüfung von Mitteln zur Schädlingsbekämpfung - und besorgt.

Seit Jahren forschen sie und ihr Team "mit höherer Dringlichkeit" nach Mitteln, die dem Krabbeltier das Leben schwer machen. Die zwei bis drei Millimeter großen Läuse treiben sich vor allem in Kindergärten und Schulen rum. Und die Invasionen nehmen in den letzten Jahren eher zu.

Eine bundesweite Statistik gibt es allerdings nicht. Kinder brächten vor allem nach den großen FerienLäuse mit in die Schule, sagt Habedank. Sie fingen sich diese oft im Sommerlager ein. Die sechsbeinigen Insekten können weder springen noch fliegen. Sie wechseln von einem zum anderen, wenn Kinder ihre Köpfe beim Spielen zusammen stecken oder die gleichen Kissen und Bürsten benutzen. So kann jeder die Blutsauger bekommen. Auch häufiges Waschen der Haare hält sie nicht ab.

"Kopflausbefall hat nichts mit fehlender Sauberkeit zu tun", schreiben Experten des Robert Koch-Instituts im "Ratgeber Infektionskrankheiten". Trotzdem hielten viele Eltern die Plage für einen Makel - und verheimlichen sie. Darum werden die Parasiten oft nicht früh und professionell genug bekämpft.

taz-Serie: Kreaturen, die die Welt nicht braucht

Dies sind nur die prominenten Beispiele: Jüngst wurde der Chinesische Flussdelfin für ausgestorben erklärt, im Jahr 2000 war es der Pyrenäen-Steinbock. Und 1980 hatte es den Java-Tiger erwischt. Fast unbemerkt werden in den nächsten 100 Jahren, so schätzen Wissenschaftler, 30 bis 50 Prozent aller Arten verschwinden. So ein Massensterben hat es seit dem Tod der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren nicht mehr gegeben. Dabei werden die meisten Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen ausgestorben sein, bevor der Mensch sie entdeckt hat: Denn bislang sind zwei Millionen Arten bekannt, 10 bis 30 Millionen soll es aber geben. Im Mai 2008 werden in Bonn 5.000 Politiker und Experten darüber streiten, wie seltene Pflanzen und Tieren weltweit geschützt werden können: Die Bundesregierung ist Gastgeber dieser UN-Biodiversitätskonferenz. Und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will schon bis September eine nationale Biodiversitätsstrategie entwickeln. Derzeit "löschen wir die Daten der Natur von der Festplatte", sagt er.

Aber mal ehrlich: Auch wenn jede Kreatur eine Daseinsberechtigung hat, weil sie für reines Trinkwasser sorgt, Schädlinge frisst, den Boden lockert oder Arzneien liefern könnte - es gibt doch auch Arten, bei denen es uns schwer fällt, sie lieb zu haben und die gern verschwinden dürften, zumindest aus unserer Nähe. In einer politisch völlig unkorrekten Sommerserie "Kreaturen, die die Welt nicht braucht" machen taz-RedakteurInnen der Evolution schon mal ein paar Vorschläge. Vielleicht hat sie ja ein Einsehen.

Mittel dagegen gäbe es in jeder Apotheke. Manche enthalten sehr giftige Insektizide. Viele Patienten greifen lieber zu sanfteren Präparaten. Nur warnt die Expertin vom Umweltbundesamt: "Bitte nicht bei Läusen". Die Wirkung sei ungewiss. Habedank empfiehlt allein Mittel, die nach Paragraph 18 des Infektionsschutzgesetzes geprüft und gelistet sind. Sonst könne das große Krabbeln weitergehen.

Läuse leben vom Blut. Und immer wenn sie Blut saugen, im Schnitt alle drei Stunden, geben sie etwas Speichel in die Wunde. Das juckt. Man kratzt, so dass kleine Wunden entstehen, die sich entzünden können. Habedank rät: "Mit Kopflausbefall zum Arzt oder Gesundheitsamt gehen" - und sich beraten lassen, wie Mittel am besten angewandt werden. Die Dosis muss zum Beispiel größer sein, je länger und dicker das Haar ist. Und: Die Rosskur muss nach acht bis zehn Tagen wiederholt werden, damit alle Tiere erwischt werden. Die Laus tarnt sich gut. Sie ist transparent grau, wenn sie mit Blut gefüllt ist auch rötlich. Die befruchteten Weibchen legen täglich bis zu sechs Eier ab, die ovalen, leicht gelb gefärbten Nissen. Lieblingsplätze dafür: Schläfen, hinter den Ohren und im Nacken.

Schädlingsexpertin Habedank würde gerne alle Läuse der Welt einmal gleichzeitig bekämpfen - "Dann wären die einfach weg". Aber das sei natürlich nicht machbar. Bleibt ein Trost: Kopfläuse sind unangenehm, übertragen aber keine Krankheiten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!