piwik no script img

Krankenkassen gegen ÄrzteverbandGerangel um Hausarztmodell

Verträge zwischen Krankenkassen und Hausärzten sollen die medizinische Versorgung besser und billiger machen. Doch viele Kassen sperren sich gegen das Modell.

Statt wegen jedem Problem den Arzt zu besuchen, soll manchmal auch ein Telefonat helfen können, meint der HÄV. Bild: ap

BERLIN taz | Für Deutschlands knapp 200 Krankenkassen läuft eine Frist ab. Sie alle müssen bis zum 30. Juni besondere Hausarztverträge abschließen und dann ihren Versicherten anbieten. Der Termin steht seit Jahresbeginn im Gesetz. Doch viele Kassen werden sich nicht daran halten. Denn die Verträge sind ein Streitthema. Patienten kennen Hausarztmodelle bislang vor allem als Möglichkeit, die Praxisgebühr zu sparen. Wer teilnimmt, sagt für ein Jahr zu, bei Leiden stets zuerst den Hausarzt zu konsultieren und nur mit dessen Überweisung zum Fachärzte zu gehen. Etliche Kassen erließen im Gegenzug dafür die Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal. Viele der Verträge sind aber inzwischen ausgelaufen. Einige Ersatzkassen beklagten, die Hoffnungen an Qualität und Einsparungen hätten sich nicht erfüllt. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) aber hält große Stücke auf Hausarztmodelle. Sie erwartet davon zugleich eine bessere und preiswertere medizinische Versorgung. In den neuen Verträgen werden von den Ärzten regelmäßige Schulungen, Behandeln nach Leitlinien und ein besonderes Praxismanagement verlangt. Auch das steht im Gesetz. Besonderen Service können die Kassen zusätzlich mit den Ärzten vereinbaren. Doch die Verhandlungen stocken. Schmidt hat den Kassen bereits vorgeworfen, sich über das Gesetz zu stellen, weil die neuen Modelle nicht in Gang kommen. Die Kassen wiederum rebellieren, weil sie sich ihre Partner für die Hausarztverträge nicht aussuchen dürfen. Laut Gesetz müssen sie mit Gruppierungen ins Geschäft kommen, die mindestens 50 Prozent der Allgemeinmediziner einer Region vertreten. Vielerorts schafft diese Quote nur der Deutsche Hausärzteverband (HÄV). Die Kassen klagen, der HÄV versuche, ihnen Kondiditionen zu diktieren und zu hohe Honorare herauszuschlagen. Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), die bisher im staatlichen Auftrag die Versorgung mit Haus- und Fachärzten organisieren, wurmt die starke Rolle des HÄV. Sie verlieren Macht an die konkurrierende Ärzteorganisation und die Kontrolle über Millionenbeträge, wenn sich viele Patienten für die Modelle des Hausärzteverbandes entscheiden. Der HÄV wiederum behauptet, die Kassenärztlichen Vereinigungen würde die Hausärzte seit Jahren zu schlecht vertreten. Er will nun Honorare von durchschnittlich 85 Euro pro Quartal und Patient vereinbaren - bisher kämen die meisten Hausärzte auf 35 bis 50 Euro, sagt ein Sprecher. Verbandschef Ulrich Weigeldt sagt, es gehe auch darum, mit viel Unsinn im System aufzuräumen. "Wir wollen eine Struktur, die uns Zeit für die Patienten gibt", sagt er. Man könne unnötige Arztbesuche vermeiden und so Zeit für gründliche Beratung gewinnen. Wer sein Problem auch kurz am Telefon klären könne, müsse nicht in die Praxis bestellt werden, nur damit der Arzt seine Chipkarte durchziehen kann. Funktionieren soll das mit Honorarpauschalen: Eine davon erhält der Arzt für jeden bei ihm im Hausarztmodell eingeschriebenen Patienten - egal ob der ihn braucht oder nicht. Eine andere ist ein Zuschlag für die Behandlung chronisch Kranker. In Baden-Württemberg gibt es einen solchen Vertrag mit der AOK. Den Patienten wird dort besserer Service versprochen, zum Beispiel bezüglich der Sprechzeiten. Nach Angaben der Kasse haben sich mittlerweile rund 3000 Ärzte und 560.000 Versicherte angemeldet. Ulla Schmidt hat das Modell im Südwesten gelobt. Als Schreckens-Szenario in der Kassenszene gilt hingegen ein AOK-Modell in Bayern. Dort hatte der HÄV-Landesverband einigen Druck auf die Kasse gemacht. Es gab auch Bestrebungen, Patienten ins Hausarztmodell zu drängen. Die Teilnahme ist aber freiwillig - für Patienten wie für Ärzte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!