: Kranke Unternehmer
Sind Unternehmer Psychopathen? Dieser Frage geht der Film „The Corporation“ nach
von Jakob Hesler
Jeder Mensch soll ein Unternehmen sein – eine Ich-AG? Das Unwort des Jahres 2002 führte vor Augen, welch gespenstische Dominanz die Institution „Unternehmen“ heute nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie innehat, im Menschenbild. Die Dokumentation The Corporation (2003) erinnert daran, dass diese Reduktion der Person aufs Unternehmerische eigentlich die Umkehrung einer anderen, kaum weniger verrückten Abstraktion ist: dass Unternehmen (“juristische“) Personen seien. Die Machtanhäufung der corporations, den Pendants der deutschen Kapitalgesellschaften, war nur möglich dank des Kniffs, dass ein Zusammenschluss von Menschen zum Geschäftemachen vor dem Gesetz wie eine bürgerliche Person betrachtet wird. Er soll kaufen, besitzen und verklagen dürfen.
Doch was ist das für eine Person, die weder Körper noch Gewissen hat, deren Daseinszweck durch nichts als Gewinnstreben bestimmt ist und dies laut Gesetz sogar sein muss? So die spannende Ausgangsfrage des Films (und des gleichnamigen Buchs von Joel Bakan). Die kanadischen Regisseure Jennifer Abbott und Mark Achbar beantworten sie in Form eines Psychogramms. Sie nehmen die wirkmächtige juristische Metapher wörtlich und diagnostizieren metaphorisch: So eine Person ist ein Psychopath.
Seine Krankengeschichte wird in The Corporation von den historischen Ursprüngen im frühen Industriezeitalter über die vielen unternehmerischen Verbrechen im 20. Jahrhundert bis hin zu möglichem Widerstand nachgezeichnet, aus US-Perspektive, aber mit globalem Horizont. In flottem MTV-Stil werden Fallgeschichten präsentiert, die sich mit Statements von Kritikern, Unternehmern und Theoretikern abwechseln – Noam Chomsky und Naomi Klein sind dabei, aber auch der rechte Ökonom Milton Friedman als advocatus diaboli und ein ökologisch korrekter Teppichfabrikant. Zwischendurch werden auf einer Checkliste die psychischen Defekte der corporation abgehakt.
Den Status der juristischen Person erschlich man sich mit einem rechtsverdreherischen Schachzug. Kaum war nach dem Bürgerkrieg der epochale 14. Zusatz zur US-Verfassung beschlossen, der die Bürgerrechte befreiter Sklaven verbrieft – schon nahmen die Anwälte der gierigen Körperschaften dieselben Rechte für sich in Anspruch. Die einseitig ökonomische Ausrichtung dieser Konstruktion hatte ihren Preis. „So wie Haie Tötungsmaschinen sind, sind Unternehmen Maschinen zur Externalisierung von Kosten“, argumentiert ein Ökonom im Film.
Was für immense Schäden die Gewinnstreber damit immer wieder der Allgemeinheit verursacht haben, das zeigt The Corporation mit einer Flut von Beispielen. Vieles davon ist altbekannt: Agent Orange in Vietnam, Shell in Nigeria, IBM in Nazideutschland. Aktueller sind die Episoden zur gegenwärtigen Ausweitung der unternehmerischen Kampfzone: Gen-Patente, Branding, aggressives Kinder-Marketing. Oder zu neuen PR-Strategien, mit denen Unternehmens-„Personen“ wie etwa Shell ein Gewissen vorheucheln. Wie diese Aufzählung schon andeutet, verliert der Film beim Symptome-Sammeln den roten Faden und verzettelt sich im Themenzapping wie der überforderte Besucher eines Globalisierungsforums.
Und das ist kein Zufall, denn das Analyseraster „Unternehmen als Person“ ist nur von begrenzter Plausibilität. Der Film klebt an der griffigen Metapher, statt sie zu dekonstruieren. So entgleitet ihm gerade die eigene Einsicht, dass diese Person eben eine Fiktion ist, eine institutionelle Charaktermaske des Kapitalismus sozusagen, die seine wesentliche Anonymität übertüncht. Wenn der Patient keine Person ist, macht es aber auch keinen Sinn, ihn als Psychopathen zu therapieren. Kein Wunder, dass sich The Corporation denn auch eigener Lösungsvorschläge weitgehend enthält und bloß „Experten“ zitiert. Die Frage, was Unternehmen denn nun wirklich sind, bleibt ungestellt. Sie hätte eine Beschäftigung mit den Defekten dieser Institution vorausgesetzt, und ebenso mit ihren Leistungen, ihrer Struktur, ihrem System.
26.–31.5., 19 Uhr, Metropolis