: Kraft durch Rhythmus
Abgetötetes Wortpathos entpuppt sich als wohlüberlegte Kargheit: Regisseur Laurent Chétouanne inszeniert Sophokles „Antigone“ im Oldenburgischen Staatstheater. Ein Schelm, wer die Tragödie nicht politisch versteht
Oh Gott, Deklamiertheater. Abgetötetes Wortpathos. Das ist der erste Gedanke in der „Antigone“ am Oldenburgischen Staatstheater. Aber schon das Bühnenbild, in dem sich der dreieinhalb Stunden-Schinken entwickeln darf, weist auf wohl überlegte Kargheit hin. Denn die Tragödie spielt im nackten Bühnenraum, mit Blick auf schwarze Wände, Rohre, Treppen, Rampen und Technik.
Eine ganze Batterie Scheinwerfer hängt tief, sie beleuchten vereinzelte, abgewetzte rote Theatersessel, die auf einem Boden aus Rindenmulch stehen. Hier steht Lisa Karlström, sehr differenziert spielend, im weißen Büßerhemd der Antigone, Ismene (Julia Ribbeck) im weißen Gewand der Unschuld. Hier herrscht der Chor, in schweren Mänteln und derben Schuhen, skandiert er die Gewissensbotschaften, ganz klassisch, eben griechische Tragödie. Und Kreon (Uwe Kramer), ein verholzter Herrscher, schwört von der Fluchttreppe aus seinen Sohn Haemon (Norbert Wendel) auf die Ideen von Staat und Herrschaft ein.
Regisseur Laurent Chétouanne hat seine Antigone genau choreographiert.
Wie in einem Schachspiel treten die Figuren auf und sprechen frontal zum Publikum. Der Wächter (Guido Wachter) spuckt mehr, als dass er spricht, die Wörter kauend und schmeckend, an der Bühnenrampe.
Kreon steht seitlich zu ihm, schaut ihn an, durch ihn durch. Beziehungen entstehen nicht. Sollen sie auch nicht.
Die Figuren sind nur Verkörperungen bestimmter Ideen: Kreon, Vertreter von Staatsräson, die sich nicht mehr im Volk gründet, Antigone, Vollstreckerin des Moralischen, die sich über das Verbot des Kreon hinwegsetzt, ihren ermordeten Bruder zu beerdigen. Kreons mangelnde Einsicht stürzt alle ins Verderben: Er bestraft Antigone mit dem Tod und sein Sohn, der ihr Gemahl werden sollte, tötet sich selbst.
Chétouanne lässt diese Figuren streng am Text auf und abtreten, sich versenkende Bühnenelemente stützen diese Wirkungen.
Wer ausgesprochen hat, lässt seinen Mantel zurück, den grauen Mantel der stummen Masse. Sprechen als Akt der Ich-Werdung. Als Gesichter, als Individuen gehen sie endgültig ab.
Der Text ist der griechischen Tragödie gemäß das handelnde Element.
Und er wird hier nicht nur gesprochen, er wurde rhythmisch einverleibt, eine Sprechweise, die zwingt, sich ganz in den Text, ganz in den Groove hineinzugeben, wodurch sich die Tiefe des Stoffes erst erschließt.
Diese scheinbar karge Inszenierung erhält ihre Kraft und Fülle gerade dadurch, dass der Text in dieser mal lakonischen, mal extatisch-dramatischen Rhythmisierung, gelebt, gefühlt, gekaut und ausgekostet wird. Und jeder, der da steht und über weite Strecken nur stehen und schauen soll – wie der Chor – tut dies mit aller Präsenz. So wird eine Spannung gehalten, die einmal mehr deutlich macht, was gutes Handwerk im Theater bedeutet, nämlich gerade nicht virtuos mit tollen Effekten umzugehen, sondern sich auf den Text, den Raum, die Schauspieler zu konzentrieren.
Ausgerechnet die Hölderlin-Übersetzung der Tragödie des Sophokles wird hier dramatisiert. Es verwundert nicht, dass der emphatische Vertreter des Vaterländischen sich dieses Topos annahm. So gelesen, wie in Oldenburg, ein hochpolitisches Stück.
Gerade zur rechten Zeit stellt es die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen gegenüber falsch begründeter Staatsräson. Gerade zur rechten Zeit die Frage nach den Verwirkungen und Verwicklungen des „Blutes“, der Herkunft, der Pear-Group, durch die wir uns abgrenzen, definieren, über die wir an Herrschaft meinen teilhaben zu müssen. Das nennt man auch – Rassismus. Eine notwendige Inszenierung.
Marijke Gerwin
„Antigone“ von Sophokles in der Übertragung Friedrich Hölderlins, Oldenburgisches Staatstheater. Nächste Aufführungen am 8., 10., 11. 14., 16., 22., 27. und 28. Februar, jeweils um 19.30 Uhr. Kartenreservierung unter ☎ 0441 - 22 25 111