: Kräftige Dusche für die SPD-Spitze
Bayerische SPD widersetzt sich den Beschlüssen des Bundesvorstands in der Asylfrage: Strikt gegen Grundgesetzänderung/ Abfuhr auch für Landeschefin Renate Schmidt ■ Aus Augsburg Bernd Siegler
„Glaubt ihr wirklich, wir können heute die Renate duschen, ohne sie naß zu machen?“ Vergeblich appellierte der Coburger SPD- Oberbürgermeister Norbert Kastner an die Delegierten des außerordentlichen bayerischen SPD- Landesparteitags, der Landesvorsitzenden Renate Schmidt auf ihrem Weg für eine Verfassungsänderung im Asylrecht zu folgen. Mehr als 60 Prozent der knapp 300 GenossInnen in der Augsburger Schwabenhalle duschten ihre „rote Renate“ kräftig. Sie beschlossen, am uneingeschränkten Asylrecht für politisch Verfolgte festzuhalten und „jegliche Einschränkung der Artikel 16 und 19 Abs. 4 Grundgesetz“ abzulehnen. So richtig naß fühlte sich Renate Schmidt nach ihrer Niederlage jedoch nicht. Sie hatte ein noch schlechteres Ergebnis erwartet und von Anfang personelle Konsequenzen nach einer Niederlage rigoros abgelehnt.
GegnerInnen und BefürworterInnen der Petersberger Beschlußlage, mit der der SPD-Bundesvorstand den Weg für eine Grundgesetzänderung in der Asylfrage freimachen will, fiel ob dieser Ankündigung bereits im Vorfeld ein Stein vom Herzen. Denn Renate Schmidts Kampf für die Linie des Bundesvorstands war in Bayern von vornherein aussichtslos. Lediglich der Bezirk Oberfranken hatte sich hinter die Landesvorsitzende und Bundestagsvizepräsidentin gestellt. Die Mehrheit der Bezirke und des Landesvorstandes hatten den Kurswechsel des SPD- Bundesvorstands und von Renate Schmidt scharf verurteilt. „Wir gehen diesen Weg nicht mit. Das Individualrecht mit Rechtswegegarantie ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Geschichte der SPD unser Beitrag zur Achtung der Würde des Menschen“, heißt es in der mit Mehrheit beschlossenen Vorlage des Landesvorstands.
Günther Verheugens Philosophieren über die Frage, ob „etwas politisch richtig, aber moralisch falsch“ sein könne, nutzte ebensowenig wie Otto Schilys Argument, daß der Grundgesetzartikel 16 „bereits durch Verfahrensgesetze völlig ausgehöhlt“ sei. Die Stammtischparole von Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter, daß „wir doch nicht die ganze Last des Elends der Dritten Welt auf unsere Schultern laden“ könnten, fiel bei den Delegierten nicht auf fruchtbaren Boden. Norbert Kastners Drohung, daß sich die SPD mit einem Nein zur Grundgesetzänderung „dauerhaft aus der politischen Verantwortung für dieses Land verabschieden“ würde, blieb ohne Wirkung, wie auch die Einwände mancher Delegierten, daß man nur mit einer Grundgesetzänderung den Rechtsextremismus wirksam bekämpfen könne.
„Das kann ich nicht nachvollziehen“, schüttelte Karl-Heinz Hiersemann, langjähriger SPD-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag und zweimaliger Spitzenkandidat der Partei im Freistaat, den Kopf, als auch Renate Schmidt in ihrer kämpferischen Grundsatzrede zu diesem Argument griff. „Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des Rechtsterrorismus“, begann sie ihren Diskussionsbeitrag. Renate Schmidt, die noch bei ihrer Rede zum politischen Aschermittwoch in Vilshofen einer Grundgesetzänderung eine klare Absage erteilt hatte, plädierte jetzt für ein „Gesamtpaket“ inklusive Verfassungsänderung und einem Zuwanderungsgesetz, dessen Quoten sich „nach Integrationsfähigkeit, verfügbaren Wohnungen und Arbeitsplätzen“ richten müßten. Der „Redlichkeit halber“ fügte sie hinzu, daß derzeit diese Quoten „gegen null tendieren“ müßten. Eine Verweigerung der SPD könne für „unsere Partei und unsere Demokratie eine katastrophale Entwicklung heraufbeschwören“.
Damit konnte sie nur 117 Delegierte überzeugen. Der Rest quittierte die Rede von Karl-Heinz Hiersemann mit tosendem Beifall. Er lehnte die Petersberger Beschlüsse als „schludrig und nicht praktikabel“ ab. Das sind Befreiungsschläge, die uns noch tief in die Misere reiten werden“, prophezeite er zusammen mit dem Rechtsexperten der SPD-Landtagsfraktion, dem Münchner Klaus Hahnzog. Als schärfster Widersacher gegen Renate Schmidt entpuppte sich ihr Stellvertreter im Landesvorsitz, der Oberpfälzer Ludwig Stiegler. Der Bonner SPD- Landesgruppenchef beschwor die Delegierten, eine Grundgesetzänderung strikt abzulehnen. Die SPD dürfe „dem rechten Mob nicht nachgeben“.
Seine Verknüpfung der Rostocker Pogrome mit den Petersberger Beschlüssen quittierte Renate Schmidt mit sich überschlagender Stimme: „Pfui, Genosse Stiegler.“ Sie verwies auf den Leiter des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Gerhard Groß, der als Gast des Parteitages vehement für eine Grundgesetzänderung eingetreten war. Angesichts der Asylbewerberzahlen hatte Groß gefordert, man müsse „diese explosive Entwicklung eindämmen, um den inneren Frieden zu sichern“.
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