Kosovos Präsident über EU-Balkanpolitik: "Visafreiheit sollte für alle gelten"
Eine geplante Visaneuregelung aus Brüssel brächte für manche Balkanländer Vorteile, nicht aber für Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Albanien. Das kritisiert der Präsident Kosovos, Fatmir Sejdiu.
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taz: Herr Sejdiu, der Vorschlag aus Brüssel, die Visaregelung für Serbien, Montenegro und Makedonien neu zu gestalten, für Bosnien und Herzegowina, Kosovo sowie Albanien aber nicht, hat zu europaweiten Protesten geführt. Wie sehen Sie das Problem in Bezug auf Kosovo?
Fatmir Sejdiu: Wir haben hier in Kosovo eine besondere Situation. Es ist wirklich unglücklich, dass Kosovo von diesem Prozess der Visaneuregelung ausgeschlossen und auch Albanien am Ende der Schlange gelandet ist. Ich denke aber, es gibt Möglichkeiten, uns in den Prozess miteinzubeziehen. Obwohl wir ein junger Staat sind, haben wir es geschafft, einen Rahmen für die Gesetzgebung zu schaffen, der den EU-Standarts entspricht und wir werden uns weiter bemühen.
Serben dürfen in die EU reisen, andere nicht. Das hat die Opferverbände und auch viele Bewohner Kosovos aufgebracht.
Viele Menschen empfinden es als ungerecht, dass die EU Serbien in dieser Weise unterstützt und vorzieht, obwohl es doch gerade Serbien war, das die Zerstörung der ganzen Region in den letzten Jahrzehnten zu verantworten hat und sogar immer noch die vom UN-Tribunal in Den Haag als Kriegsverbrecher gesuchten Personen beschützt und damit wesentliche Forderungen der EU ignoriert.
Sie wollen also nicht, dass Serbien in Genuss der neuen Visaregelung kommt?
Wir sehen es als positiv an, wenn die gesamte Region in den europäischen Integrationsprozess einbezogen ist. Und dazu gehört auch der visafreie Verkehr für alle. Die Differenzierung der Länder in der Region verursacht Probleme. Wir werden die Integration Serbiens in die EU nicht unterstützen, solange es seine irrationale Herangehensweise an die Dinge forsetzt. Wir unterstützen aber einen EU-Beitritt Serbiens, wenn es eine europäische Haltung einnimmt und sich entsprechend verhält. Serbien kann nicht von den EU profitieren und gleichzeitig der Region immer wieder Probleme bereiten. Es ist ungerecht, dass die EU Serbien in diesem Falle so große Unterstützung zukommen lässt, ohne Serbien aufzufordern, die Politik der Zerstörung Kosovos endlich zu beenden.
Soll Serbien Ihrer Ansicht nach also erst in die EU aufgenommen werden, nachdem es die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt hat?
Ich glaube, es ist sogar besser für Serbien, die Unabhängigkeit Kosovos anzuerkennen. Das Rad der Geschichte kann nicht mehr zurückgedreht werden und es ist auch international kein Wille zu erkennen, am jetzigen Status zu rütteln. Kosovo war ungerechterweise von Serbien okkupiert, das ist die geschichtliche Wahrheit. Und so ist es eben grundlegend, zu erkennen, dass die Menschen im Kosovo sich zwar jahrzehntelang der Macht beugen mussten, diese Macht aber nicht akzeptiert haben.
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