Korruption in Österreichs Gesundheitssystem: Extrahonorare für den Oberarzt
Jeder wusste es, alle schwiegen: Jetzt steht Korruption in Österreichs Gesundheitswesen am Pranger. Wer auf eine Operation nicht monatelang warten will, muss schmieren.
WIEN taz Seit letzte Woche die Antikorruptionsorganisation Transparency International die schleichende Einführung der Klassenmedizin beklagte, werden täglich neue Vorwürfe gegen das System laut. Ergebnis: Österreichs Gesundheitswesen ist korrupt. Wer etwa auf eine Operation nicht allzu lange warten will, kann durch private Zuwendungen erwirken, früher an die Reihe zu kommen.
Von offizieller Seite herrschte zu den Vorwürfen zunächst betretenes Schweigen. Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky, ÖVP, selbst Ärztin, ließ ausrichten, im österreichischen Spitalswesen gebe es so etwas nicht. Erst der Auftritt einer ehemaligen Angestellten eines Wiener Ordensspitals in den Ö1-Nachrichten brachte eine Diskussion in Gang. Die Frau, deren Stimme auf eigenen Wunsch verzerrt wurde, berichtete, dass sie mehrmals Patienten gleichsam vom OP-Tisch holen musste, weil plötzlich jemand anderes vorgelassen worden sei. Ständig habe sie "Lügengeschichten über angebliche Notfälle" erfinden müssen. Menschen, die auf Hüftgelenks- oder Augenoperationen nicht monatelang warten wollen, so wurde von weiteren anonymen Krankenschwestern und auch Patienten bestätigt, werde nahegelegt, die Privatordination des Primars aufzusuchen. Gegen ein Honorar von 200 oder 300 Euro könne man dann schon auf der Warteliste befördert werden. Bestätigt wurde diese Darstellung von der Wiener ÖVP-Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec. Sie habe binnen weniger Monate um die 300 ähnlich lautende Vorwürfe gesammelt.
Dass bei der Wiener Patientenanwaltschaft im vergangenen Jahr nur 15 Beschwerden eingingen, sei damit zu erklären, dass das Personal aus Angst um den Job und die Patienten in der Hoffnung auf gute Behandlung den Mund halten. So konnte sich Harald Mayer, der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, auf den bequemen Standpunkt zurückziehen, es sei "schlechter Stil, sich in einem demokratischen Rechtsstaat der Methoden anonymer Denunzierung zu bedienen, um das Gesundheitssystem zu beschädigen".
Nicht so Primar Fanz Stöger vom Berufsverband der österreichischen Chirurgen, der Mittwoch zugab: "Die Zweiklassenmedizin gibt es, sie zu leugnen wäre falsch". Er warnte aber vor einer Verunsicherung der Patienten. Bei Akutfällen könne jeder sicher sein, rechtzeitig operiert zu werden. Private Zusatzversicherungen, das empfiehlt jeder Kassenarzt, würden sich aber lohnen, wenn man es eilig hat.
Für das Gesundheitssystem wurden in Österreich zuletzt 9,6 Prozent des Inlandsproduktes aufgewendet. Steigende Lebenserwartung und technische Verbesserungen lassen das Defizit jedes Jahr wachsen. Ein Abgehen vom System der Pflichtversicherung über die Krankenkassen wird aber von keiner Partei befürwortet.
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