Korrespondenten über ein Jahr Schwarz-Gelb: Im Osten nichts Neues
Angela Merkel gestaltet nicht, sie verwaltet das Land. Dabei gehen die Visionen verloren. Und deshalb wird über Laufzeiten diskutiert anstatt über Bildung und Integration.
"Nichts Neues" - seit Monaten schicke ich regelmäßig diese Botschaft nach Frankreich, wenn die Frage nach der Regierung Merkel-Westerwelle aufkommt. Leere Debatten, verschobene Reformen und schwache Kompromisse. Viel schlimmer noch: keine Spur von Visionen. Seitdem das neue Duo Angela Merkel und Guido Westerwelle regiert, ist das Bild von Deutschlands Zukunft ziemlich trübe geworden.
Man weiß nicht wirklich, wo die Reise hingehen soll. Nur eines ist sicher: der andauernde Konflikt zwischen zwei angeblich idealen Partnern. Das reicht aber nicht, um Deutschland für meine Auftragsgeber schmackhaft zu machen.
Auch die Menschen hierzulande scheinen ihr Interesse an der Berliner Politik zu verlieren - abgesehen von den immerlauten Atomkraftgegnern natürlich. Sie registrieren mit Fatalismus, dass der Staat ihnen immer mehr abverlangt, während viele Probleme bleiben. Die Teflon-Kanzlerin, an der jede Polemik abperlt, scheint es am wenigsten zu stören. Sie versucht vor allem das Land zu verwalten und profitiert von den Reformen, die von früheren Regierungen in Gang gesetzt wurden. In den Jahren der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder konnte man sich wenigstens über Hartz IV oder die doppelte Staatsbürgerschaft streiten.
32, arbeitete von September 2006 bis April 2010 als Deutschlandkorrespondentin für die französische Tageszeitung "Le Monde". Seitdem ist sie in Berlin als freie Journalistin für deutsche und französische Medien tätig.
Während der Großen Koalition waren das Elterngeld und die Rente mit 67 lange Zeit in aller Munde. Und heute? Man berichtet lieber über regionale Kontroversen wie Stuttgart 21 oder die gescheiterte Schulreform in Hamburg als über die Versuche von Herrn Rösler, das Gesundheitssystem umzukrempeln.
Wenn es überhaupt etwas zu berichten gibt, dann sind es für meine Landsleute eher enttäuschende Nachrichten. In Paris hatte man die ersten Botschaften der neuen Bundesregierung etwas missverstanden. Man dachte, die neue Führung sei jetzt endlich auf gutem Weg, sich vom französischen Modell inspirieren zu lassen. Soll heißen: kräftig Steuern senken, um weiter über seine Verhältnisse zu leben; dafür mehr konsumieren, um sich ein bisschen von diesem bedrohlichen deutschen Exportmodell zu entfernen. Das Gegenteil ist eingetreten.
Deutschland spart wieder und lebt weiter vom Export seiner Maschinen. Als die französische Regierung aus ihren schönen Träumen erwachte und sich in der Griechenlandkrise ständig die Lektionen deutscher Sparpolitik anhören musste, wuchs der Groll.
Nur in einem Punkt wirkt Berlin aus Pariser Sicht sicherlich vernünftig: mit dem Kompromiss über die Verlängerung der Laufzeit der Atommeiler hat sich die Regierung Merkel-Westerwelle der französischen Energiepolitik ein Stück wieder angenähert. Und wie Frankreich bekommt auch Deutschland bald eine Berufsarmee. Gab es denn keine dringenderen Baustellen wie Bildung, Steuerreform oder Integrationspolitik? Beim letzerem Thema wäre es auch für Frankreich hilfreich, andere Stimmen und Vorschläge aus Deutschland zu hören als die von Thilo Sarrazin.
Am Montag sind in der Print-Ausgabe der taz elf Texte von Deutschland-Korrespondenten renommierter Auslandsmedien, die eine Zwischenbilanz über ein Jahr schwarz-gelbe Koalition ziehen, erschienen.
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