piwik no script img

Koreanische Filme im ForumEin Schatz in kleiner Münze

Brautkauf auf den Philippinen und ein Nationalepos aus der Vorschulperspektive: Das Forum zeigt fünf Filme der Korean Academy of Film Arts.

"Land of Scarecrows" ist von einer Ästhetik der Ruine geprägt, kaum ein Bild enthält nicht ein seltsames Zeichen des Verfalls oder verwitterter Konsumkultur, die nun nur noch grotesk wirkt. Bild: berlinale

Wie alt muss ein Mensch sein, um Verantwortung für jemand anderen übernehmen zu können? In dem koreanischen Film "Treeless Mountain" der Regisseurin So Yong Kim sieht sich das sechsjährige Mädchen Jin schon früh damit konfrontiert, auf die kleinere Schwester Bin aufzupassen. Sie holt sie nach der Schule bei der Nachbarin ab, bringt sie nach Hause und lässt sie überallhin mitgehen.

Die Reise, von der in dem Film erzählt wird, ist dann aber mehr als nur ein Abenteuer. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod, mit provokant offenem Ausgang. Die Mutter nimmt Jin und Bin eines Tages mit auf eine Busfahrt. Die Kinder sollen einige Tage bei der Großtante bleiben, einer einsamen, schroffen Frau, die morgens manchmal nicht aus dem Bett kommt.

Die Kamera macht sich so bedingungslos den Horizont der kleinen Mädchen zu eigen, dass nie ganz klar wird, wo die Orte der Handlung sind - aber eindeutig beginnt die Geschichte in der großen Stadt und bewegt sich danach an die Peripherie, in eine eher dörfliche Umgebung, in der Jin und Bin nicht weit gehen müssen, um auf einer Brache ein wenig Natur zu finden. Der "baumlose Berg", von dem im Titel die Rede ist, ist eine kleine Erhöhung, auf der die Mädchen einen schon lange abgerissenen Ast einpflanzen - ein trostloses Zeichen der Hoffnung zweier Ausgesetzter. Sie verdienen ein wenig Geld, indem sie Heuschrecken sammeln und rösten - jeden Groschen geben sie in ein Sparschwein, denn ihre Mutter hat ihnen versprochen, sie würde zurückkommen, wenn es voll wäre.

Der berührendste Moment von "Treeless Mountain" kommt, als die kleinere Bin entdeckt, dass man selbst Münzen mit geringem Wert noch in kleineres Geld wechseln kann und so die Ersparnisse vermehren und das Sparschwein schneller füllen kann. Die (trügerische) Hoffnung, die Jin und Bin in diesem Moment fassen, enttäuscht So Yong Kim so lakonisch wie die Erwartungen an eine Dramaturgie der (sozialen) Lösungen. Sie hält den Film bis zum Ende konsequent offen und verweigert einen Überblick, eine Aufnahme aus erklärender Distanz. "Treeless Mountain" begibt sich in das Innerste jeder Gesellschaft und kündigt den Generationenvertrag an der Wurzel auf (setzt ihn übrigens auf eine vermittelte Weise dann auch wieder ein) - wenn man so will, ist dies ein Nationalepos aus Vorschulperspektive und auf diese Weise vielleicht der interessanteste von den insgesamt fünf Beiträgen aus der Republik Korea im diesjährigen Forum der Berlinale.

Festivalbesucher und selbst das Arthauspublikum konnten in den vergangenen Jahren ganz gut verfolgen, wie sich einige Regisseure aus dem Land international einen Namen machten: Lee Chang-dong, Park Chan-wook, Hong Sang-soo und zuvorderst Kim Ki-duk zeigten, dass sie sowohl die Formeln des globalen Autorenfilms als auch interessante Mischformen beherrschten. Demgegenüber sind die Beiträge von 2009 von einem bescheideneren Gestus geprägt, was zum Teil damit zusammenhängt, dass es sich um Arbeiten handelt, die an der KAFA (Korean Academy of Film Arts) entstanden sind.

Die Ausnahme bildet "Land of Scarecrows" von Roh Gyeong-Tae, dessen prononcierte, immer wieder anstößige Ästhetik an den frühen Kim Ki-duk ("Address Unknown") erinnert. Hier rücken die regionalen Zusammenhänge stärker in den Blick. "Gegen geringe Gebühr", so steht es auf einem Plakat, können koreanische Männer auf kurzen Reisen philippinische Frauen kennenlernen und sie nach Hause mitnehmen.

Vor diesem Hintergrund erzählt Roh Gyeong-Tae eine fragmentarisch anmutende Geschichte, in der eine koreanische Frau, die sich als Mann versteht, sich unter diese kaufkräftigen Brautwerber mischt und auch tatsächlich eine Frau aus den Philippinen mitbringt. Rain Lopez entdeckt irgendwann das Geheimnis ihres Ehemanns und läuft davon. Die dritte Figur ist ein junger Tellerwäscher, der seine philippinischen Eltern nicht kennt und unter den versprengten Menschen in einer trostlosen Provinzlandschaft nach möglichen Verwandten sucht.

"Land of Scarecrows" ist von einer Ästhetik der Ruine geprägt, kaum ein Bild enthält nicht ein seltsames Zeichen des Verfalls oder verwitterter Konsumkultur, die nun nur noch grotesk wirkt. Roh Gyeong-Tae beweist damit ein sicheres Gespür für die Erfolgsmuster des Festivalkinos. Er läuft damit allerdings auch Gefahr, auf eine vertrackte Weise konventionell zu werden, zumal im Vergleich mit eher bescheiden anmutenden Arbeiten wie "My Dear Enemy" von Lee Yoon-Ki, "The Day After" von Lee Suk-Gyung oder "Members of the Funeral" von Baek Seung-Bin.

"My Dear Enemy" erzählt von einer kleinen Odyssee durch Seoul, zu der sich ein Mann gezwungen sieht, von dem eine frühere Geliebte geborgtes Geld zurückverlangt.

"The Day After" folgt einer Frau in mittleren Jahren durch eine profunde Krise, die sich durchaus zu "Treeless Mountain" in Beziehung setzen lässt, denn auch hier zahlt ein kleines Mädchen die Rechnung für die Schwierigkeiten der Eltern.

In "Members of the Funeral" entsteht aus verschachtelten Rückblenden bei dem Begräbnis eines Teenagers ein komplexes Familienporträt, das Baek Seung-Bin diskret mit Motiven der Romantik anreichert - eine Faszination für tote Körper, auf die sich die Obsessionen der Überlebenden heften, ist ganz im Hintergrund dieser intimen Geschichte auszunehmen, die ihre Freiheiten nicht zuletzt durch das technische Format gewinnt. Mit der digitalen Kameratechnik beginnt das koreanische Kino gerade noch einmal von vorne, auch dafür sind Filme wie "Members of the Funeral" ein gutes Beispiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!