Kopfverletzungen im American Football: Helm an Helm
Carson Wentz, Quarterback der Philadelphia Eagles, erleidet eine Gehirnerschütterung. Nun wird über den Schutz der Spielmacher diskutiert.
Carson Wentz ist niemand, der leicht umzuhauen wäre. Der Quarterback der Philadelphia Eagles ist 1,96 Meter groß, er wiegt 108 Kilogramm. Sein rot schimmernder Vollbart soll wohl signalisieren: Ich bin aus sehr hartem Holz geschnitzt. Sollte der 27-Jährige vor einem wichtigen Football-Spiel trotzdem nervös werden oder an seinen Fähigkeiten als Spielmacher und Präzisionsschütze zweifeln, so muss der gläubige Christ nur die Bibel aufschlagen, um neuen Mut zu schöpfen.
Im Playoff-Spiel gegen die Seattle Seahawks nutzte ihm seine robuste Konstitution allerdings wenig: Wentz hatte zu einem kleinen Lauf mit dem Spielball angesetzt, als von hinten ein D-Zug namens Jadeveon Clowney anrauschte und ihn tackelte. Clowney tauchte ab mit seinem Helm und traf den (behelmten) Hinterkopf von Wentz.
Es war ein klarer und auch unnötiger Hit gegen den Kopf. Wentz’ Kopf schlug hart auf dem Rasen auf, danach wurde er von Betreuern der Eagles vom Feld in die Kabine geführt. Dort wurde er von Ärzten untersucht. Die Diagnose: Gehirnerschütterung. Wentz durfte nicht weiterspielen, musste von Ersatz-Quarterback Josh McCown ersetzt werden. Der 40-Jährige konnte die 9:17-Niederlage Philadelphias nicht abwenden.
„Zufälliger“ Kontakt?
Das Ausscheiden von Wentz ist nicht nur deswegen problematisch, weil er sich nach Verletzungen am Knie und der Wirbelsäule zum ersten Mal in seiner Karriere auch in den Playoffs beweisen wollte, sondern weil es auch die Politik der National Football League (NFL), konsequent gegen Kopfverletzungen und vor allem unlautere Angriffe auf Quarterbacks vorzugehen, zu konterkarieren scheint. Die Attacke hätte nicht nur nach Meinung vieler Eagles-Fans eine 15-Yard-Strafe nach sich ziehen müssen.
Referee Shawn Smith legte sich aber darauf fest, nur einen „zufälligen“ Helmkontakt gesehen zu haben. Außerdem habe der Quarterback nicht signalisiert, freiwillig seinen Lauf zu beenden, indem er mit den Füßen voran zu Boden geht. Abwehrspieler Clowney sagte entschuldigend: „Ich wollte ihn nur zu Boden bringen mit einer harten, schnellen Attacke. Ich möchte in dieser Liga wirklich niemanden verletzen.“
Das mag so sein, aber im Football geht es nun einmal rau und unerbittlich zu. Schwerwiegende Verletzungen sind an der Tagesordnung. Im Fokus stehen Kopfverletzungen, insbesondere wiederholte Gehirnerschütterungen, weil sie nicht selten zu einem chronischen Leiden führen: der traumatischen Enzephalopathie. Bei Dutzenden ehemaligen NFL-Spielern wurde diese degenerative Hirnerkrankung diagnostiziert, es geht darüber hinaus um Fälle von Amyotropher Lateralsklerose, Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson und Demenz.
Kognitive Schäden
Die NFL musste nach Prozessen und öffentlichem Druck reagieren, ihre Regeln anpassen und sehr viel Geld lockermachen. Die Liga selbst geht davon aus, dass ungefähr 6.000 bis 8.000 ehemalige Spieler Zahlungen erhalten könnten. Schon im September 2014 gab die NFL zu, sie erwarte, dass etwa ein Drittel aller ehemaligen Spieler kognitive Schäden aufweisen werde; dies ergaben Berechnungen von Versicherungsstatistikern, die die Liga angestellt hatte. Zudem wurde festgestellt, dass die Probleme in einem „erheblich niedrigeren Alter“ beginnen werden als in der restlichen Bevölkerung.
Kurzum: Footballspielen ist gefährlich, eine Botschaft, die bei immer mehr Eltern ankommt. Auch Ex-Präsident Barack Obama äußerte sich zum Thema: „Ich bin ein großer Footballfan, aber ich muss sagen: Wenn ich einen Sohn hätte, würde ich lange und intensiv darüber nachdenken müssen, ehe ich ihn Football spielen lassen würde.“ Ähnlich äußerte sich auch der aktuelle Präsident Donald Trump, ansonsten ein großer Freund des Raufsports.
Nach Bekanntwerden der Gehirnerkrankungen nahm das Interesse am Football ab, so sank die Zahl der Tackle-Football spielenden 6- bis 17-Jährigen von 3,96 Millionen im Jahr 2009 um fast 20 Prozent auf 3,21 Millionen im Jahr 2015. Einige US-amerikanische Highschools beendeten ihre Football-Programme, Profis wie Chris Borland, Aubrey Joseph Tarpley, Tyler Varga oder Eugene Monroe beendeten ihre Karrieren vorzeitig aus Angst vor bleibenden Schäden.
Carson Wentz will weitermachen. Sein Vertrag bei den Eagles läuft bis 2024. Allerdings wird er in Zukunft wohl mehr Zeit auf eine Risiko-Nutzen-Kalkulation verwenden.
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