Konvertit aus Kirchenasyl abgeschoben: Alles rechtens
Aus dem Emder Kirchenasyl heraus wird ein afghanischer Christ nach Schweden abgeschoben. Ihm droht die "Verbringung" in sein Herkunftsland.
LEER taz | Um ein Uhr morgens kamen die Beamten: Am 1. Juni holten Vertreter von Polizei, Ausländerbehörde und der Abteilung für öffentliche Sicherheit und Verkehrswesen in Emden den gebürtigen Afghanen Reza Z. aus dem Kirchenasyl. Z. wurde in den Flieger gesetzt und nach Schweden "verbracht". Dort hatte er vor sechs Jahren, aus dem Iran fliehend, Schutz gesucht.
Trotz der unchristlichen Stunde wohnten dem Vorgang gut 30 Mitglieder einer Reformierten Gemeinde im Emder Vorstadtdorf Wolthusen bei und fragten die Handelnden: "Habt ihr kein schlechtes Gewissen?" Die Vollzugsbeamten verneinen. "Man schwankt immer zwischen Hoffnung und Zuversicht", sagt Gemeindepastorin Frauke Focke. "Aber als Reza abgeholt wurde, war es ein Schock für alle, die ihn unterstützt und gekannt haben. Wir haben mit unseren Mitteln keine Möglichkeit gesehen, Reza zu schützen."
Reza Z. wurde in Afghanistan geboren und floh, wie so viele seiner Landsleute, vor dem Krieg in den Iran. Er konvertierte zum Christentum, wovon seine Familie bis heute nichts weiß. Aus Angst, sie könnte es erfahren, reiste Reza Z. 2005 weiter, nach Schweden. Dort beantragte er Asyl, der Antrag wurde abgelehnt. Reza Z. tauchte unter und irgendwann in Deutschland wieder auf: Er meldete sich, ganz ordentlich, bei den Behörden - in der Hoffnung auf ein neues Asylverfahren.
Deutschland hat darauf gedrängt, den Umgang mit Asylverfahren EU-weit zu standardisieren.
Dublin II steht für eine gemeinschaftliche Rechtsvorschrift, die 2003 die Verordnung des Dubliner Übereinkommens von 1990 ersetzte.
Ihr Ziel ist es, den für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat möglichst rasch zu bestimmen und angemessene Fristen für die einzelnen Verfahrensstadien festzulegen. Zudem soll "Asylmissbrauch" verhindert werden, indem Mehrfachanträge verunmöglicht werden.
Innerhalb der EU dürfen demnach Flüchtlinge in den Mitgliedsstaat abgeschoben werden, in dem sie angekommen sind - für das Gesetz sind das "sichere Drittländer". Als solche können aber auch Länder außerhalb der EU definiert werden. In der Vergangenheit galt das auch für Libyen.
Schweden hat im vergangenen Jahr 30 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben.
Er erhielt eine Ablehnung mit der Begründung, Schweden sei zuständig: Dort habe er zuerst EU-Boden betreten. Eine erste Einstweilige Verfügung gegen die Abschiebung lehnte das Verwaltungsgericht Oldenburg ab. Zweifel wurden geäußert, ob Z. wirklich zum Christentum übergetreten sei. Nachdem sie ausgeräumt werden konnten, erfolgte die zweite Ablehnung seines Rechtsschutzersuchens: Nach dem EU-Abkommen "Dublin II" (siehe Kasten) sei definitiv Schweden zuständig.
"Die rechtliche Situation ist eindeutig", sagt Z.s Anwalt Ekkehard Hausin. "Sollten wir nachweisen, dass in Schweden nicht rechtmäßig verfahren wird, können wird das in Deutschland in einem Hauptverfahren überprüfen. Dieses Hauptverfahren ist in Deutschland noch nicht abgeschlossen."
In einem Gespräch will Reza Z. von der Emder Ausländerbehörde zu hören bekommen haben: "Wir schieben dich sowieso ab. Entweder du machst mit, dann gehts nach Schweden. Oder du machst nicht mit, dann: Afghanistan."
In seiner Not flüchtete Z. ein weiteres Mal: ins Kirchenasyl in Emden-Wolthusen. "Es war nicht einstimmig. Aber alle haben den Beschluss getragen", sagt Pastorin Focke. "Die Gemeinde hat Reza kennengelernt, weil er in einem Heim in unserer Nähe untergebracht war." Reza selbst hatte aus seinem Heim heraus Kontakte zur Gemeinde gesucht: Bibelarbeitskreis, Gitarrenkurs. Der kommunikationsfreudige Mann mit den guten Deutschkenntnissen war zurückhaltend, aber, wenn man ihn ansprach, erklärte er im Kindergarten, im Konfirmationsunterricht oder vor Gemeindemitgliedern seine Situation. Erzählte über den Islam, den Iran, über Afghanistan. Vor der versammelten Gemeinde wurde er in einem Gottesdienst konfirmiert.
Auch wenn die Rechtslage eindeutig für eine Ausweisung nach Schweden sprach: Reza Z.s UnterstützerInnen in Emden hatten stets Hoffnung. "Es gab rechtlich so viele Ungereimtheiten", sagt Johanna Adickes. "Schließlich gibt es eine Übereinkunft zwischen Landeskirche und Behörden, Kirchenasyl nicht zu brechen." Zusammen mit etwa weiteren 30 Gemeindemitgliedern hat Adickes Reza Z. vier Monate lang versorgt, bekocht und betreut.
Die Gewissheit schmolz dahin, als die Emder Ausländerbehörde mehrfach in Begleitung "kräftiger" Herren in Wolthusen aufgelaufen sei. "Ich bringe dich persönlich zum Flieger", soll ihm der Leiter der Behörde gesagt haben, erzählte Z., nachdem er sich ins Kirchenasyl geflüchtet hatte. Volker Grendel, Sachbearbeiter bei der Stadt Emden bestreitet das. Vielmehr sei man "im Fall Reza Z. eher sanft vorgegangen. Wir wussten, es gab keine Alternative zur Rückführung nach Schweden".
Johanna Adickes sieht das anders: "Wir haben gehofft, dass sich Deutschland für Reza Z. zuständig erklärt und ihm hier ein neues Verfahren eröffnet. Wir dachten, die Behörden könnten den Mut aufbringen und ihren Spielraum zugunsten des Menschen nutzen, um ihm Möglichkeiten zum Bleiben zu eröffnen." Dazu habe es "keinen Anlass" gegeben, sagt Volker Grendel.
Reza Z. steht auch weiterhin mit "seiner" Gemeinde in Kontakt, von Schweden aus, per Handy. Er hat dort bis jetzt kein neues Verfahren erhalten, ja nicht mal einen Anwalt. Zurzeit hat man ihn an der Grenze zu Finnland untergebracht. Neben der Unterkunft liegt ein Militärflughafen, von dem aus Versorgungsflüge starten - nach Afghanistan.
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