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Konventionell gegen die Macht der Konvention

■ Violetta unterliegt in Verdis „La Traviata“ dem Teufel namens Vorurteil und siegt im Goetheplatztheater über den Fußballgott – fast

Samstagnacht. Mitternacht: Über unserer schönen Stadt wölbt sich ein kaltschwarzer, sternenfunkelnder Himmel. Doch hinter den Türmen des Doms glüht es Rot. Kein Abendrot, das fröhliche Gehupe und das laute Jubeln aus den Kneipen des Viertels lassen keinen Zweifel daran: Es ist die Morgenröte. Hoffnungsfroh kann Bremen in die Zukunft blicken. Werder hat den Pokal geholt.

Ich war nicht dabei, nicht einmal an der Glotze. Statt dessen blickte ich zweieinhalb Stunden auf einen Sarg. Es war ein schöner Sarg, mit edlem Klavierlack bestrichen. Für mich nicht unbedingt ein Anlaß zu trauern. Um ihn herum führte nämlich das Theater am Goetheplatz Giuseppe Verdis La Traviata auf. Zwar konnte ich so nicht Werders Triumph miterleben, dafür aber einen anderen Triumph, einen mit Verdi.

Foirella Burato sang die Violetta, die Edelkurtisane, auch als Kameliendame bekannt, die von Tbc zerfressen zur wahren Leidenschaft findet und dem Irrtum verfällt, Liebe sei der Herzschlag des Universums, so zart, so glockenrein, so bewegend und so hochdramatisch, daß die Frage nach dem Spielstand in der Hauptstadt nach und nach verstummt. Dies umso mehr, als es aus dem Orchestergraben ebenso zart, intonationssicher, subtil und prächtig tönte. Das philharmonische Staatsorchester unter Maestro Massimo Zanettis beseelter Leitung hatte einen großen Tag.

Zum musikalischen Genuß trug auch Bruce Rankin als lyrischer Tenor bei, der dem naiven Lover der verlorenen Hure eine Stimme lieh, die in leisen Passagen zuweilen gefährdet klang, häufig aber auch an die drei großen Tenöre denken ließ, was allerdings wieder schmerzliche Assoziationen ans Olympiastadion wachrief. Und auch Alan Cemore als treusorgender Vater trug mit einer soliden, aber etwas eindimensionalen Leistung zum Gelingen bei. Eingeschränktes Lob auch den Sängern der etwas undankbaren Nebenrollen und dem prächtig agierenden und akkurat singenden Chor, den Herr Wiedebusch sorgsam vorbereitet hat.

Die Inszenierung, für die Ernst-Theo Richter verantwortlich zeichnet, blieb allerdings deutlich hinter dem musikalischen Genuß zurück. Sie bebilderte getreulich das sentimentale, den älteren Lesern dieser Zeitung wohlbekannte Geschehen. Der traurig-süßen Geschichte um die Liebe als Herzschlag des Universums kommt man heutzutage nicht mehr mit stilisierter Farbpalette, die Unschuld, Tod, Sünde und Kälte visualisiert, bei, auch wenn durch Schwarz, Weiß und Rot starke Bilder erzeugt werden können. Die Bedrohung individuellen Glücks durch Konvention, Moral, Geld und Krankheit blieb dem Zuschauer optisch so fern wie die morbiden Salons der feinen Pariser Gesellschaft.

Der Staub des 19. Jahrhunderts lag über dem modern-schicken Design, trotz seiner expressiven Bildwirkung, die Hartmut Schörghofer (Bühnenbild) und Gerda Nuspel (Kostüme) erzeugten. Richter läßt seine Personen absolut konventionell agieren. Beziehungen zwischen den Akteuren bleiben blaß. Sie reagieren aufeinander kaum. Ein eher autistisches Vor-sich-hinleiden, -lieben oder -wüten prägt den Stil der Personenführung. Schade drum, denn das Schlußbild – ansonsten eher peinlich anzusehen, weil oft naive Überhöhung und Karikatur nicht mehr auseinanderzuhalten sind – zeigt, welche dramatische Intensität, welch bewegende Verzahnung zwischen Musik und Szene erreichbar ist: Kurz durchzieht dort ein stummer Harlekin Violettas Fieberträume. Er hört ihr zu, sie sucht bei ihm Trost und Vergessen. Ein starker, aber kurzer Moment der Aufführung ehe sie ins klassische Opernfinale abdriftet. Heftiger, des Bremer Publikums südländisches Temperament beweisender Applaus dankte Sängern, Dirigent und Orchester. Kein Buhruf strafte die Inszenierung.

Sie hatte ja auch nichts Verstörendes. La Traviata zwar traumhaft schön, aber eben doch nur eine Oper. Und Werder ist uns eben doch näher als Verdi.

Mario Nitsche

Weitere Vorstellungen: 15., 22., 25. Juni, 19.30 h

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