Kontroverse um politische Bildung: Selektive Information
Israel finanziert einen Schul-Projekttag über das Land. Palästinenser und Nahost-Konflikt kommen dabei nur am Rande vor. Kritiker sehen "Propaganda".
Auf Widerstand stößt ein im November geplanter Projekttag "Israel" für SchülerInnen der 11. und 12. Klassen: KritikerInnen sprechen von "Propaganda", selbst in der Landeszentrale für politische Bildung (LZPB) ist man "nicht glücklich". Denn die Veranstaltung ist von der israelischen Botschaft konzipiert, alle ReferentInnen werden von ihr bezahlt.
Mit Parlamentspräsident Christian Weber (SPD) als Schirmherr soll es um die "Facetten der israelischen Zivilgesellschaft" gehen oder um Möglichkeiten, für ein Jahr nach Israel zu gehen. Ein Workshop heißt "Von der Orange zur Hightech-Industrie". Der Nahost-Konflikt soll nur am Rande vorkommen. Und während die Deutsch-Israelische Gesellschaft - deren Landesvorsitzender der Grüne Hermann Kuhn ist - mit im Boot ist, gilt das für die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG) nicht.
"Wir sind uns der Brisanz bewusst", sagt Michael Huesmann vom Bildungsressort. Man habe eine "Planungsgruppe" eingesetzt, der neben dem Landesinstitut für Schule - als Organisator vor Ort - und dem LZPB auch verschiedene Politik- und GeschichtslehrerInnen angehörten. Außerdem habe man die von israelischer Seite angebotenen Module "modifiziert", so Huesmann. So wurde ein angebotener Workshop über jüdische Religion ebenso aus dem Programm genommen wie einer, der die "Integrationsleistung" der israelischen Armee darstellen sollte. Man habe sich mehr dem "Alltagsleben" und der wirtschaftlichen wie sozialen Situation widmen wollen, so Huesmann. Im übrigen hätten ähnliche Projekttage bereits in elf anderen Bundesländern stattgefunden.
Michael Scherer von der LZPB hätte es besser gefunden, Bremer Institutionen hätten die Veranstaltung, zu der etwa 150 SchülerInnen erwartet werden, selbst organisiert. Das aber wäre ein "ungeheurer Aufwand" gewesen, so Scherer - und sehr viel teurer. Sein Haus wird nun mit einem Infotisch auf dem Projekttag präsent sein, dort werde auch der Nahost-Konflikt thematisiert. "Israel ist mehr als schöne Küsten und Orangen", so Scherer. Von einer "Imagekampagne" Israels mag er nicht sprechen.
Mehr als ein Dutzend KritikerInnen haben sich nun in einem offenen Brief an Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper und Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) gewandt, zu den Unterzeichnern gehören neben dem DPG-Landesvorsitzenden Detlef Griesche etwa Arn Strohmeyer vom Bremer Friedensforum oder Toni Brinkmann, Ex-Vorstandsmitglied der Linkspartei. "Israel herrscht seit 44 Jahren als Besatzungsmacht über ein anderes Volk, raubt dessen Land und errichtet eigene Siedlungen darauf", heißt es darin. Die KritikerInnen verlangen, die Seite der Palästinenser hinzuzuziehen, erinnern an den "Beutelsbacher Konsens". Er ist die Grundlage aller politischen Bildung, enthält neben dem "Gebot der Kontroversität" auch ein "Indoktrinationsverbot". Der Projekttag könne nur auf die "Vermittlung völlig einseitiger Propaganda" hinauslaufen, so der offene Brief.
Scherer und Huesmann widersprechen dem: Kein Schüler gehe "unvorbereitet" und "blauäugig" in den Projekttag, sagen sie. Weil er von den Schulen vorbereitet sei, den ReferentInnen LehrerInnen zur Seite gestellt würden, sieht das Ressort den Beutelsbacher Konsens gewahrt. Man sei um Ausgewogenheit "bemüht", so Huesmann, von "ideologischer Überformung" könne kein Rede sein. Die DPG will das Ressort trotzdem nicht beteiligen: "Das wäre eine komplett andere Veranstaltung." Auch eine "Weisung" wie Strohmeyer es nennt, gebe es nicht, nicht einmal eine Empfehlung, so Huesmann: "Wir bevormunden die Schulen nicht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen