Konsumforscher über Nachhaltigkeit: „Die meisten Kunden denken zu wenig“
Einen Wagen für 50.000 Euro fahren, aber beim Einkaufen Schnäppchen jagen. Ein Gespräch über die Schizophrenien deutscher Verbraucher.
sonntaz: Herr Burchardt, wann haben Sie zuletzt in einem Discounter eingekauft?
Uli Burchardt: Noch nie. Ich gehe gelegentlich dorthin, um mir einen Überblick zu verschaffen – dabei bleibt es dann allerdings auch.
Sie bezeichnen Supermarktketten als Ausbeuter und Selbstzerstörer. Müssen Discounter-Kunden automatisch ein schlechtes Gewissen haben?
Ich will niemandem ein schlechtes Gewissen einreden. Da ich aber immer wieder feststelle, dass viele Konsumenten die Zusammenhänge nicht durchschauen, sehe ich es als meine Aufgabe an, die gravierenden Probleme aufzuzeigen. Wenn jemand sich das anhört, zugleich mit den Achseln zuckt und sagt, es sei ihm egal, er kaufe immer das billigste Produkt – bitte schön! Der darf dann aber auch gern ein schlechtes Gewissen haben.
Schließen sich Discounter und Qualität aus?
Ich würde das gern allgemeiner fassen: Ich schließe aus, dass ein Discountkonzept ein Qualitätskonzept sein kann. Discount ist eine Wertvernichtungsstrategie. Und ich sage: Qualität kann nur etwas sein, das nachhaltig ist. Wertvernichtung kann nicht nachhaltig sein.
Diesen und andere spannende Texte lesen sie in der aktuellen sonntaz vom 14. und 15. April, die sich anlässlich des taz-labs voll und ganz um „Das gute Leben“ kümmert. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Sie schreiben in Ihrem Buch, das Kaufverhalten der Deutschen sei schizophren. Sie würden Umweltbewusstsein und Fairness propagieren, kauften aber Schweinenackensteaks für 2,88 Euro und Winterjacken für 19,90 Euro. Wie erklären Sie sich das Verhalten der Kunden?
Die Lidl-Leute, um nur ein Beispiel zu nennen, wissen genau, wie sie die Menschen in ihre Läden bekommen. Die beherrschen ihr Handwerk perfekt. Aufseiten vieler Kunden hat das offensichtlich mit mangelhafter Reflexion zu tun. Sie sehen auf einem Schild „Minus 10 Prozent“ und denken sich „Superangebot!“. Genau diese Haltung kritisiere ich, eine Haltung nach dem Motto: „Ich bin doch nicht blöd und gebe für meine Wurst soundso viel aus, wenn ich sie bei X oder Y billiger bekommen kann.“
Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge steigt seit Jahren, fast parallel steigt auch die Zahl der von Armut bedrohten Menschen. Ist das derzeitige Angebot nicht die optimale Orientierung am Kunden?
Natürlich ist es ein Problem, dass derart viele Menschen mit dem Cent rechnen müssen. Die Discounter mit ihren Billigprodukten haben deshalb auch eine gewisse Existenzberechtigung, das gebe ich zu. Dieses Problem bewegt sich allerdings außerhalb meines Themenkreises, wir sprechen hier schließlich über einen Bruchteil unserer Gesellschaft.
Wir sind eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt! Wenn wir nicht fähig sind, uns von hochwertigen Produkten zu ernähren, wer dann? Der Blick über den Aldi-Parkplatz zeigt uns: Es ist durchaus üblich, einen VW-Passat im Wert von 50.000 Euro zu fahren und seine Lebensmittel im Discounter zu kaufen. Und: Dass es so viele Menschen gibt, die an der Armutsgrenze leben, hängt ganz sicher auch mit der Geizmentalität in Deutschland zusammen.
Jahrgang 1971, ist im CDU-Wirtschaftsrat und bei Attac, war Förster und Manufactum-Manager und arbeitet als Managementberater. Sein Buch „Ausgegeizt! Wertvoll ist besser – Das Manufactum-Prinzip“ ist im Campus Verlag erschienen.
Auf der einen Seite ein extrem hoher Anspruch an Produkte und deren Wirkung, auf der anderen Seite die Suche nach Schnäppchen?
Diese Leute sind die, um die es mir an erster Stelle geht: die A8- oder Cayenne-Fahrer, die beim Discounter kaufen. Ich gebe Ihnen recht, es gibt in unserer Gesellschaft mehr arme Menschen als noch vor einigen Jahren. Genau diese Fakten stützen aber auch meine Thesen. Denn warum gibt es immer mehr Menschen in Zeitarbeit? Weshalb gibt es immer mehr Freiberufler, die von ihrer Arbeit lediglich gerade so leben können? Weil alles maximal ausgepresst wird. Wir landen stets wieder bei der Nachhaltigkeit.
Sie meinen also, es sei auch eine Folge des starken Preiskampfes, dass bestimmte Gruppen gar nicht mehr in der Lage sind, am System teilzunehmen?
Zum Teil, ja. Innerhalb der großen Unternehmen wird ja ebenfalls gegeizt, da werden mit allen möglichen Mitteln Kosten gedrückt. Die Folge: Die Bevölkerungsschicht, die in großer Unsicherheit lebt und mit wenig Geld auskommen muss, wird zwangsläufig immer größer. Alles orientiert sich an der Rendite. Dafür gibt es aus meiner Sicht allerdings überhaupt keinen vernünftigen Grund. Und ich meine das wörtlich: keinen.
Viele Unternehmer lassen sich auf den Preiskampf ein, sie fühlen sich zu diesem Schritt gezwungen.
Es ist eine Polarisierung der Märkte erkennbar, die zulasten der Mitte geht. Die Anbieter in den obersten Segmenten, die Luxusartikelhersteller, haben ebenso Erfolg wie die Discounter. In der breiten Mitte herrscht deshalb große Ratlosigkeit. Unternehmer haben das Gefühl, sie müssten sich entscheiden – oben oder unten? Eine mögliche dritte Variante wird leider ausgeblendet, die meisten wählen daher die zweite. Die Folge davon: Vieles wird immer billiger. Und schlechter.
Sehen Sie nicht – wie einige Experten – den Trend einer Abkehr von der Geizmentalität?
Derzeit passiert zweierlei. Es gibt eine Minderheit in der Gesellschaft, die sagt: „Ich will diesen Geizkram, diese Billigmaximierung nicht mehr mitmachen.“ Das sind Menschen, die die Begleiterscheinungen der Entwicklung wahrnehmen und darin ein großes Problem sehen. Für die Masse allerdings geht die Billig-Entwicklung immer weiter.
Könnte nicht die Politik – ähnlich wie im Feld der Energiepolitik – Anreize schaffen, um Qualitätsstandards zu schützen?
Fragen Sie mich jetzt, ob ich das für richtig hielte oder für realistisch?
Beides. Denn Sie sagen ja: Passiert nichts, fährt das System gegen die Wand.
Unsere Politiker sprechen ja gern über die Menschenrechte, diesen Punkt erwähnen sie sehr häufig, das klingt auch meistens gut und richtig. Schauen wir uns allerdings die Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder Indien an, also in Ländern, in denen die Discounter einige ihrer Waren produzieren lassen, so sehen wir katastrophale Arbeitsbedingungen und Ausbeutung pur. Das sind Bilder, die zumeist nur die logische Folge unserer Schnäppchenjagd sind. Ich fände es daher gut, wenn sich die Bundesregierung in diesem Punkt klar positionieren würde. Realistisch ist das allerdings schon deshalb nicht, weil mit dem ganzen Kram verdammt viel Geld verdient wird, und zwar in allen Wertschöpfungsstufen.
Ein Blick in die Zukunft: Welche Rolle spielen Discounter in zwanzig Jahren?
Sie werden zusammengeschrumpft sein auf eine Größenordnung, in der sie lediglich ein Marktsegment bedienen. Sie werden alles auf die Karte „billige Lebensmittel“ setzen. Die Discounter werden in große Schwierigkeiten geraten, davon bin ich überzeugt. Das Beispiel Schlecker hat uns zuletzt einen Vorgeschmack gegeben. Zu dem Zeitpunkt war das Buch leider schon fertig geschrieben.
Das Schlecker-Image ist offenbar nicht mehr zu retten?
Es ist ein Paradebeispiel. Hier wurde so lange gemolken, bis ein Point of no Return überschritten war. Der Ruf ist derart ramponiert, unglaublich. Alle Leute, die ich frage, auch Nichtfachleute, reagieren auf die Schlecker-Insolvenz stets mit zwei Aussagen. Erstens: Es ist wahnsinnig schade für die Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Zweitens: Es freut mich diebisch, dass die Strategie dieser Ausbeuter gescheitert ist.
Aufgrund der vielen Tricks, die Stück für Stück aufgedeckt wurden, hat die Marke einen derart großen Imageschaden erlitten, dass es meiner Einschätzung nach beinahe unmöglich ist, dieses Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“