Konkurz anmelden, etc.: Olympisch kurz
■ Das Berliner Theatersterben geht weiter: Nach nur drei Monaten Spielzeit mußte am Mittwoch nun auch das Marlene-Musical zu Grabe getragen werden
„Wir danken allen Mitwirkenden der gesamten Show für Tatkraft, hohe Leistung, Einsatzbereitschaft und das gebrachte Engagement“, steht am Ende der Pressemitteilung der „Lighthouse Musical Produktionsgesellschaft mbH“, in der Bernhard Kurz, Bruder des schwäbischen Musical-Zars Friedrich Kurz und Geschäftsführer der Pleitegesellschaft, das Ende eines Erfolgskonzepts bekanntgibt: Nach nur drei Monaten Spielzeit wurde das „Musical der Neunziger“, „Sag mir, wo die Blumen sind“, endgültig zu Grabe getragen. Kein unerwarteter Tod, eher ein Abgang nach langer, schwerer Krankheit.
Schon seit langem blieben die zahlenden Besucher am Ku'damm weitgehend aus. Daß „Sag mir, wo die Blumen sind“ das anvisierte Jahr 2000 erreichen würde, glaubte in Berlin schon lange niemand mehr. Daß das Publikum doch schlauer ist, als man gemeinhin denkt – in der alten Reinhardtbühne mit den 800 samtenen Sesseln saßen im Schnitt nur etwas mehr als 400 Zuschauer –, wollte dagegen wohl Erfolgsmensch Friedrich Kurz bis zum Schluß nicht wahrhaben. Noch vor wenigen Wochen wurde das bereits zur Premiere gefloppte Stück runderneuert, von seiner ridikülen Rahmenhandlung befreit und als neu verkauft. Genützt hat das allerdings niemandem mehr.
„Alle Abwicklungen werden kurzfristig und sachgerecht gelöst“, meldet nun die Pressestelle. Das wird vor allem die alteingesessene Theaterfamilie Wölffer interessieren, bei der Kurz noch mit über einer Million Mark Mietschulden in der Kreide steht. Eine Bürgschaft über annähernd die gleiche Summe liegt zwar vor, aber die Hausherren am Kurfürstendamm machen sich keine großen Hoffnungen, daß Kurz jetzt noch seine vertraglichen Verpflichtungen korrekt einhält: „Warum sollte Herr Kurz jetzt, wo er nicht mehr spielt, seine Miete pünktlich zahlen“, fragt sich Martin Wölffer, „wenn er es in den letzten zwei Monaten nicht getan hat?“
Rechtsanwälte werden nun die Abwicklung des Superflops 93 übernehmen. Für den Fall, daß die Gesellschaft mit beschränkter Haftung „Lighthouse Musical“ Konkurs anmeldet, stehen die Wölffers allerdings schlecht da. Denn die Millionenproduktion „Shakespeare & Rock 'n' Roll“, die Kurz derzeit an der benachbarten Volksbühne vorbereitet, wird von einer eigenständigen GmbH produziert: „Lighthouse Theater GmbH“ – ein kleiner, aber feiner Unterschied.
So kann Kurz jetzt zwar seine düpierten Kunden in sein neues Haus lenken – bereits gekaufte Marlene-Karten werden für das Shakespeare-Stück angerechnet –, aber für das finanzielle Desaster ist diese GmbH natürlich nicht zuständig.
Im Hause Wölffer besinnt man sich nun wieder auf alte Traditionen. Um den größten finanziellen Schaden abzuwenden, will Jürgen Wölffer jetzt doch wieder Boulevard am Ku'damm zeigen. Wenn auf die schnelle kein Gastspiel gefunden werden kann, will man gar selbst in die Bresche springen. „Jeder Tag kostet uns im Moment 12.000 Mark“, erklärt Sohn Martin.
Derweil sucht man bei „Lighthouse“ nach einer neuen Spielstätte – „überall, aber natürlich immer noch am liebsten in Berlin“, wie Pressesprecherin Katrin Schindler erklärt, die selbst noch nicht so genau weiß, ob sie jetzt arbeitslos ist oder ebenfalls von der „Lighthouse Theater GmbH“ übernommen werden wird. Für Marlene ist der Spuk jedenfalls immer noch nicht vorüber. Zur Not wird eine kleine Marlene-Super-Light-Version ab September in der Kassenhalle der Freien Volksbühne zu sehen sein.
Für die derzeit ins Trudeln geratene Berliner Theaterlandschaft ist die Ku'damm-Pleite ein weiterer Schock – kein ästhetischer, aber ein finanzieller. Offenbar kann man sich in diesen armen Zeiten nicht mal mehr auf das Kommerzgedudel verlassen. Wer, fragt man sich da, soll dann demnächst das Schiller Theater betreiben? Eckhard Josefski, Betriebsratsvorsitzender des Schiller Theaters, schlug kürzlich vor, dort die olympischen Schwimmwettkämpfe auszutragen. Aber wer weiß schon, ob das nicht wieder so eine Pleite wird? Klaudia Brunst
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