: Konkurrenz für den Eiffelturm
■ Die Zeiten, als Frankreichs Kultusminister Jack Lang zum Kampf gegen den amerikanischen Kulturimperialismus aufrief, sind längst vorbei. Vor den Toren von Paris entsteht das Eurodisneyland als Ziel für...
Die Zeiten, als Frankreichs Kulturminister Jack Lang zum Kampf gegen den amerikanischen Kulturimperialismus aufrief, sind längst vorbei. Vor den Toren von Paris entsteht das Eurodisneyland als Ziel für diejenigen, denen Amerika zu weit ist. BETTINA KAPS hat sich das gigantische Projekt näher angeschaut.
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er Countdown läuft. Nur noch elf Monate, dann werden Eiffelturm und Sacre Coeur in den Schatten gestellt. Am 12. April 1992 wird sich das Interesse der Touristenscharen aus Paris heraus verlagern, 32 Kilometer nach Osten, das hofft zumindest die Euro Disney-Gesellschaft. An diesem Tag öffnet die europäische Ausgabe von Disneyland die Tore. Nach Kalifornien, Florida und Japan kommt endlich auch das Abendland in den Genuß des Donald-Duck-Spektakels. Es soll Europas größte Touristenansaugmaschine werden: Mickey und Konsorten wollen elf Millionen Besucher im Jahr anziehen.
Bislang sieht das Parkgelände nahe der Pariser Vorstadt Marne-la-Valle noch nach einem Schlachtfeld aus. Wo bis vor drei Jahren Bauern pflügten, markieren jetzt Kräne und Gerüste das aufgerissene Erdreich. Fertig sind bisher nur die ersten von 11.380 Parkplätzen, dafür wurden weite Raps- und Rübenfelder asphaltiert. Zur Zeit parken hier bizarr geformte, silbergraue Drahtgeflechte. Die werden bald, mit bunter Plastikmasse überzogen, die verschiedenen Disney-Welten bilden, die der Phantasie die Arbeit abnehmen.
Angekündigt sind fünf Szenen, die selbst im sprachbewußten Frankreich ihre amerikanischen Namen behalten: Main Street USA, Frontierland, Adventureland, Fantasyland und Discoveryland. Neben dem Kulissenpark entsteht ein Ferienzentrum. Sechs Hotels mit 5.200 Zimmern und ein Wohnwagengelände müssen vorläufig genügen; langfristig sollen weitere 13.000 Hotelzimmer hinzukommen. Da Disneyland die Besucher offenbar nicht genug zerstreut, werden noch ein Golfplatz und ein „Entertainment Center“ angelegt. Auch dort, so versprechen die Veranstalter, „amüsieren sich die Gäste auf typisch amerikanische Art“, etwa beim Abendessen vor einer „stimmungsgeladenen, feuchtfröhlichen Buffalo Bill's Wild West Show“. Solch ein Lokal hat Platz für über 1.000 Besucher.
Hatte wirklich einst der französische Kulturminister Lang zum Kampf gegen amerikanischen Kulturimperialismus aufgerufen? Derart altmodische Töne sind heute nicht mehr zu vernehmen. Im Gegenteil: Frankreich macht Mickey und Minnie den Hof. „So wie das Schloß von Versailles an Ludwig den XIV. erinnert, wird dereinst vielleicht die immense Anlage von Eurodisneyland an die Ära Mitterrand denken lassen“, sagt ein deutscher Frankreichkenner, der die Wandlung der französischen Kulturlandschaft mit Staunen verfolgt.
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er Sozialist Fabius und der Gaullist Chirac hatten sich gleichermaßen darum gerissen, den Zuschlag der Amerikaner zu erhalten — warum, das ist für viele Franzosen bis heute das größte Mysterium am „magic kingdom“. Die Regierung enteignete 25 Bauern und konnte der Disneygesellschaft dadurch insgesamt 2.000 Hektar Land verkaufen, das entspricht einem Fünftel der Fläche von Paris. „Die Franzosen haben sich verpflichtet, den Großteil der Investitionen in Höhe von 22 Milliarden Francs zu übernehmen, Walt Disney investiert nur 442 Millionen Francs“, kritisierte der französische Europaabgeordnete Max Simoni.
Vordergründig versprach das Unternehmen Arbeitsplätze und einen kräftigen Devisenstrom. Kritiker wie Simoni betonen jedoch, daß die Gewinne überwiegend in die USA abfließen werden. Von 23.000 Jobs bis 1992 und 100.000 bis zum Jahr 2000 war anfangs die Rede; heute spricht man nur noch von 12.000 Arbeitsplätzen, und über die Arbeitsbedingungen kursieren die übelsten Berichte. Die Bauarbeiten werden überwiegend von Leiharbeiterfirmen ausgeführt, die ihre Arbeiter zum Marathon anspornen: einige von ihnen arbeiten bis zu 250 Stunden im Monat.
Auch wer als „cast member“ in Disneys Diensten steht, hat nichts zu Lachen. Mickey verlangt perfektes Styling und absolute Disziplin, alles Lebende muß sich tadellos in die Magic- Kingdom-Welt einpassen. Für Männer heißt das, keine Bärte, Schnauzer oder gar Pferdeschwänze, für Frauen sind Lidschatten und bunte Strümpfe verboten. Pflicht sind hingegen Deodorant und „angemessene Unterwäsche“. Dem harten Einstellungstest allein scheint Disney nicht zu trauen. Das „cast member“ muß versprechen, daß es auch in Zukunft nicht zunehmen wird: „Ihr Gewicht muß zu Ihrer Figur passen, so daß Ihre Erscheinung in den für Ihr Kostüm vorgesehenen Maßen bleibt und nicht vom Spektakel ablenken kann“, heißt es in den Einstellungsbedingungen. Wer „Glück“ erzeugen will, dem darf kein Opfer zuviel sein.
Nicht nur die Bauarbeiten werden unermüdlich vorangetrieben, auch das Baggern nach Touristen ist in vollem Gang. Dazu wurde vor der Silhouette der Baukräne ein „Espace Euro Disney“ eröffnet. Auffällig unter einem großen blauen Zauberhut verpackt, entpuppt sich das „Espace“ als simples Reklamezentrum, das einen perfekten Vorgeschmack auf das angekündigte Vergnügen gibt. Der Coup gelang, das „Espace“ wurde ein Ausflugsziel: Schon über 100.000 Neugierige pilgerten zur Disney-Werbung, für die sie auch noch zahlen dürfen; zehn Francs kostet der erste hautnahe Kontakt mit der knallharten Scheinwelt. Dafür hat das Ticket Scheckkartenformat und einen Magnetstreifen, der — unterstützt durch einen blauuniformierten Aufpasser an der automatischen Sperre — jeden Doppelgänger ausschaltet.
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u sehen ist ein Sammelsurium jener Attraktionen, die Disneyland charakterisieren: eine Plastikeule ruckelt müde mit dem Kopf, Wolkenkratzer oder Cowboystiefel als Nachttischlampe deuten den Stil der Disney-Hotels an, ein paar Kostüme, Ölgemälde — den ganzen Plunder erhöht das Motto: „Wenn der Schein Wirklichkeit wird“. Ein Werbefilm über die zukünftige Pracht stimmt auf die „Fantasia Boutique“ ein, wo sich die Besucher folgsam mit Souvenirs eindecken. Der Clou des Ganzen: Hier werden schon Eintrittskarten verkauft, 200 Francs für Erwachsene, 150 Francs für Kinder. Und alle akzeptieren, daß Kinder bei Disney bereits mit zehn Jahren erwachsen sind. „Kinder dienen hier doch nur als Alibi“, meint Alain Torel, Urbanist und Mitglied bei „Les Verts“, der vergeblich gegen das Projekt gekämpft hatte. „Disneyland, das ist Infantiles für Erwachsene, die Besucherzahlen beweisen das.“
Die Käufer in der „Fantasia Boutique“ bereuen ihren Ausflug nicht. „Jeder braucht ein wenig Traum“, sinniert Catherine und wiederholt damit einen Spruch aus dem Werbefilm. Jean kommt aus dem Nachbarort Lagny. „Disneyland, das fehlte hier. Schließlich können es sich viele Familien nicht leisten, in die USA zu fahren.“ Jean hat seinen Traum für 800 Francs eingekauft, zwei Eintrittskarten und ein paar Andenken. Dennoch stimmt ihn die Wirklichkeit ein wenig traurig: „Es tut weh, daß hier der Wald und die Felder verschwunden sind. Und dann graut mir vor dem Verkehr. Trotzdem hoffen wir, daß viele Touristen herkommen, denn ein schlecht besuchter Unterhaltungspark wäre deprimierend.“ Diese Sorge scheint unbegründet. „Disneyland muß funktionieren“, sagt der Grüne Torel. „Nach den unglaublich hohen staatlichen Investitionen kann keine Regierung ein Scheitern zulassen. Disneyland war so teuer, daß es niemals zur Plastikruine werden darf.“
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