Konfliktregion Südkirgistan: Der Kickboxer und die Politik
Nach den Auseinandersetzungen zwischen Kirgisen und Usbeken will die OSZE Polizisten in die Region entsenden. Viele Kirgisen lehnen das ab. Notfalls blockieren sie den Flughafen.
Tschailoobek Atasow ist Kickboxer. Der durchtrainierte Kirgise hat gelernt, sich auf den Gegner zu konzentrieren - auch außerhalb des Ringes. Von Ferne wirkt er zwar schmächtig, aber er bewegt sich gewandt wie eine Katze. Atasow organisiert in Osch den Widerstand gegen die geplante Entsendung der OSZE-Polizeieinheit in den Süden des zentralasiatischen Landes.
"Wir werden die Polizisten nicht in die Stadt lassen", verkündet er kraftstrotzend, "wir blockieren den Flughafen." Im Zentrum der mit einer Galerie versehenen Sporthalle "Delphin" steht der Boxring, die hohen Wände und die Decke sind weiß getüncht, durch die Fenster flutet das Licht. Unter der Decke hängt die rote kirgisische Staatsfahne mit der stilisierten Sonne. Drei kirgisische Teenager üben sich in Liegestützen und an Hanteln, halten kurz ehrfürchtig ein, als sie Atasow mit wiegenden Schritten in den Saal kommen sehen, und trainieren dann weiter. "Die anderen sind laufen", erklärt Atasow den leeren Trainingsraum. Mit einer ausladenden Bewegung streckt er die Hand zur Begrüßung aus, Muskelkraft ummäntelt ein sprühendes Ego. "Na, wann fangen wir an zu trainieren", frotzelt er.
Sportler sind Helden
Der Beschluss: Gemäß einem Beschluss vom 22. Juli will die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 52 Polizisten nach Osch und Dschalalabad schicken.
Das Personal: Die Polizisten kommen aus Russland, Serbien und der Türkei. Sie sollen in kirgisischen Uniformen mit einem OSZE-Emblem die kirgisischen Kollegen beraten, jedoch über keine exekutive Gewalt verfügen. Man hofft, durch ihre schiere Präsenz die seit Juni gehäuften Übergriffe der monoethnischen Sicherheitskräfte auf die usbekische Minderheit zu unterbinden. Die Leitung der OSZE-Einheit übernimmt der Schweizer Diplomat Markus Müller, der am Montag wegen des Vertrags nach Bischkek reiste.
Die Kosten: Die 3,7 Millionen Euro teure Mission ist auf vier Monate ausgelegt, kann aber verlängert und um weitere 50 Polizisten aufgestockt werden.
Die Kritik: Interimspräsidentin Rosa Otunbajewa hatte dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) im Juli ihre Zustimmung zu der Mission gegeben. Doch die kirgisische Polizei und Gesellschaft wehren sich gegen die Einmischung von außen. Die Regierung zögerte bis Redaktionsschluss die Unterschrift unter das Memorandum heraus. (mb)
Nach den blutigen Auseinandersetzungen vom Juni zwischen Kirgisen und Usbeken plant die OSZE für September die Entsendung einer Polizeieinheit in den Süden des Landes, wo besonders viele ethnische Usbeken leben. Nahezu 1.000 Menschen kamen damals ums Leben, zehntausende flüchteten. Human Rights Watch und die UN beklagen die einseitige Verfolgung der Usbeken durch kirgisische Sicherheitskräfte und Folter in den Gefängnissen. Die Stimmung in der Stadt ist angespannt.
Tschailoobek Atasow glaubt nicht an die friedliche Mission der Polizeikräfte aus dem Ausland. "Wo die OSZE-Polizei hinkommt, gibt es Krieg", warnt er und wippt mit dem Stuhl. "Wir wollen hier kein zweites Kosovo." Der Kickboxer wittert eine Verschwörung. Sollte einer der Polizisten ums Leben kommen, könnte eine bewaffnete Armee den Polizisten nach Kirgistan folgen, befürchtet er. "Wer kann die Sicherheit der unbewaffneten Polizisten garantieren?"
Atasow, durch dessen Hose und Hemd sich die Muskeln abzeichnen, ist ein erfolgreicher Kampfsportler, der sich auch als Trainer verdingt. In der Büroecke steht eine Kraftmaschine, ein Plakat in der mit Pokalen und Medaillen zugestellten Vitrine weist ihn als Kickboxweltmeister 2006 aus. Der 31-Jährige ist verheiratet und hat zwei kleine Söhne, die später auch mal Kickboxer werden sollen. "Neben dem Sport engagiere ich mich in der Öffentlichkeit", grinst er. Der Sportler mit den kurz geschorenen Haaren schaut seinem Gegenüber direkt in die Augen und genießt die Rolle des Anführers.
"Jeder in Osch kennt Taschailoobek", sagt ein Mann, der zum Trainieren gekommen ist. Atasow ist in Kirgistan ein populärer Mann. Jede Art von Kampfsport wird besonders von der Jugend geliebt, die ihre Helden verehrt. Gleichwohl ist die Karriere politisch ambitionierter Sportler in Kirgistan nicht ohne Risiko. Ein halbes Dutzend wurde bereits erschossen.
Denn die "Sportsmeni", die ihre Muckibuden verlassen haben, stellen einen Machtfaktor dar. Anfänglich rekrutierten kirgisische Politiker und Kriminelle - die Grenzen sind da fließend - die muskelbepackten Jungmänner als Privatarmee, inzwischen gehen derer Anführer auch in die Politik. Männer wie Atasow, der in Osch den Widerstand gegen die Einmischung von außen organisiert.
Atasow ist überzeugt, dass die kirgisische Regierung wegen der von der internationalen Gemeinschaft zugesagten Finanzhilfe in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar der OSZE-Mission zugestimmt hat. Er will auf das Geld verzichten. "Wir fragen dann halt Singapur", grinst es aus dem Gassenjungengesicht. Über 25.000 Unterschriften lägen gegen die Anwesenheit der OSZE-Polizei vor. Man sei zu allem entschlossen, "vielleicht zünden die den Flughafen an".
Für die seit den Juni-Unruhen verwüsteten usbekischen Wohnviertel macht Atasow wie die meisten Kirgisen die Usbeken selbst verantwortlich. Dass die Welt das nicht erkenne, sei auch Schuld der OSZE, erklärt er. Diese und andere vom Westen bezahlte Organisationen hätten einseitig berichtet, deshalb habe die OSZE das Vertrauen der Kirgisen verloren. Er selbst behauptet, während der Unruhen nicht in der Stadt gewesen zu sein.
"Usbeken sind Ratten!"
Die Auseinandersetzungen wären vorbei, versichert der Kickboxer, alles sei wieder friedlich. "Wir treiben miteinander Handel auf dem Basar, beten gemeinsam in der Moschee und gehen gemeinsam ins Grab."
Die Usbeken in Osch sehen das anders. Sie sitzen verängstigt in ihren zerstörten Vierteln und fragen jeden Ausländer flehentlich, wann die OSZE-Polizei endlich eintreffe. "Wenn nicht bald Hilfe kommt, gehen wir zugrunde", sagt ein Mann in einer Moschee. Er sagt, dass Kirgisen und Usbeken bestimmt nicht gemeinsam beten.
Noch immer prangen die Schriftzüge "Tod den Usbeken" und das für die Usbeken benutzte Schimpfwort "Sart" auf den Trümmerwänden der abgefackelten Häuser. Hass auf kirgisischer Seite und Angst auf usbekischer vergiften die Atmosphäre in Osch. Auf einem Markt verkaufen Kirgisinnen gebrauchten Goldschmuck und wehren sich dagegen, fotografiert zu werden. Eine Frau beschimpft den Journalisten im Vorzimmer des Bürgermeisters. "Ihr schreibt immer Genozid. Genozid! Hier war kein Genozid, die Usbeken sind Ratten", kreischt sie mit überschlagender Stimme.
Atasow, der immer wieder Luftschläge mit den Fäusten ausführt, spricht gerne im Namen des Volkes. Die Regierung in Bischkek hätte nicht das Recht, der OSZE-Mission ohne Befragung des Volkes zuzustimmen, sagt der Sportler. "Sie muss auf das Volk hören, wir leben schließlich in einer Demokratie." Andernfalls werde die Regierung gestürzt, setzt er drohend hinzu.
In der Hauptstadt nimmt man den Sportler ernst. Die Präsidentin Otunbajewa versuchte ihn vergeblich umzustimmen. Auch der Außenminister Ruslan Kasakbajew Ruslan ließ sich letzten Montag von dem Kickboxer zeigen, wo im Sportsaal die Gewichte hängen.
Rückendeckung erhält Atasow vom zwielichtigen Bürgermeister Oschs, Melis Mirsakmatow, der sich als Nationalist bezeichnet und in einem Interview in der russischen Zeitung Kommersant die Verantwortung für die ethnischen Zerstörungen übernahm: "Die Usbeken haben einen Anschlag auf die Souveränität Kirgistans verübt, wir haben zurückgeschlagen, und jetzt erlauben wir keinem mehr zu schießen."
Auch Mirsakmatow opponiert im "Namen des Volkes" gegen die OSZE-Polizei. Doch der Kickboxer ist um Distanz bemüht. "Der Bürgermeister ist mir nicht wichtig, ich bin nur gegen die Polizei", versichert Atasow.
Als die Regierung in Bischkek den Bürgermeister letzte Woche absetzen wollte, stellten die Kirgisen in Osch ihre Kampagnenfähigkeit unter Beweis. Innerhalb weniger Stunden versammeln sich am Donnerstag Tausende auf dem zentralen Platz der südkirgisischen Stadt. Am Tag darauf kommen sie teilweise sogar zu Pferde aus den Provinzen. Sie hängen Plakate mit Fotos entstellter Leichen auf. "Das sind Kirgisen und keine Usbeken", schreit ein junger Mann. Die aggressive Menge, die internationale Journalisten in der Menge attackiert, geht erst auseinander, als Mirsakmatow am Freitag in einer feurigen Rede seinen Verbleib im Amt verkündet und im Überschwang fordert, die Hauptstadt des Landes gleich nach Osch zu verlegen. "Osch gehört nun uns", ruft der umtriebige Politiker. Neben dem Umjubelten steht auf der Tribüne am Fuße des Lenindenkmals auch der Kickboxer.
Die Regierung windet sich
Seit ihr Bürgermeister sein Amt behauptet hat, befinden sich viele Bürger von Osch wie im Rausch. Der Schweizer Diplomat Markus Müller steht vor der fast unlösbaren Aufgabe, die OSZE-Polizei gegen den Willen der aufgeputschten Bevölkerung durchzusetzen. Müller kennt Kirgistan gut, jahrelange war er für die Schweiz und die OSZE in dem zentralasiatischen Land tätig. Ein Gewährsmann in der Regierung gesteht, dass bis auf die Präsidentin keiner mehr auf Regierungsebene die OSZE-Polizei wolle. Er meint, dass die meisten auf den mit einem eventuellen Wortbruch verbundenen Imageverlust schlicht "spucken" würden.
Ein Mann, dessen Haus im usbekischen Viertel nicht zerstört wurde, hat schon resigniert. Er bedankt sich für den guten Willen der OSZE, spricht aber zugleich warnende Worte: "Die bringen die um." Er beugt sich mit nacktem Oberkörper über das Beet im Innenrund des Gehöftes und erntet reife Tomaten. Er plädiert dafür, die Mission abzublasen, aber dafür Kirgistan auch kein Geld zu geben. "Wir werden dann zwar darben", sagt er, "aber irgendwie kommen wir schon durch."
Dem Kickboxer sind die US-Dollar aus dem Westen auch egal. Er will ja Singapur um Geld bitten.
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