Konflikt in Syrien: Erdoğan will seine Armee abziehen
Türkische Truppen besetzten bisher Teile Nordsyriens. Nun will Erdoğan, dass sie das Land verlassen. Auch aus dem Irak werde man sich zurückziehen.
Auch wenn Erdoğan es nicht so ausdrückte, war seine Botschaft: „Mission erfüllt!“ Erstmals waren türkische Truppen im Herbst 2016 in der Operation „Euphrat Schild“ westlich des Euphrats auf syrisches Territorium vorgedrungen und hatten um die Stadt Azaz herum ein größeres Gebiet besetzt.
Ziel dieser Operation und zwei weiterer in den folgenden Jahren war es nach türkischen Angaben, kurdische „Terroristen“ von der Grenze zur Türkei wegzudrängen und zu verhindern, dass entlang der Grenze ein autonomes kurdisches Gebiet entstehen würde, das in der türkischen Öffentlichkeit immer als PKK-Staat tituliert wurde.
Im Nordirak, wo sich seit Jahrzehnten das Hauptquartier der PKK befindet, hat die türkische Armee zwar kein größeres Gebiet besetzt, ist aber in den vergangenen Jahren immer wieder auch mit Bodentruppen auf irakisches Territorium vorgestoßen, um PKK-Stellungen zu bekämpfen.
Dort, vor allem aber in Nordsyrien, sollen die Kämpfe nun soweit reduziert werden, dass die türkischen Truppen zurückkehren können. Diese fundamentale Veränderung in der türkischen Haltung geht zum einen auf eine veränderte Politik im Irak zurück. So konnte Erdoğan mit Bagdad vereinbaren, dass die PKK als unerwünschte Organisation eingestuft wird und das Land verlassen soll.
Zum anderen spielt die Einsicht eine Rolle, dass der syrische Diktator Baschar al-Assad nach dem jahrelangen Krieg in Syrien wieder fest im Sattel sitzt. Erdoğan hat nach Ausbruch des Syrienkriegs 2011 jahrelang die islamistischen Aufständischen gegen Assad unterstützt – letztlich aber ohne Erfolg.
In den letzten Jahren ging es der Türkei dann vor allem darum, die im Nordosten durch den Krieg erstarkten kurdischen Milizen zu bekämpfen. Dazu diente zuletzt der Einmarsch türkischer Truppen auch östlich des Euphrats.
Russland versucht zu vermitteln
Seit Jahren schon versucht Russland eine Einigung zwischen Erdoğan und Assad zu vermitteln. Bislang scheiterte Moskau aber daran, dass Assad immer den vollständigen Rückzug türkischer Truppen aus Syrien zur Vorbedingung eines Treffens machte. Dem scheint Erdoğan jetzt nachkommen zu wollen, indem er die militärischen Operationen für erfolgreich beendet erklärt.
Erdoğans Hauptmotiv, auf Assad zuzugehen, dürfte aber ein innenpolitisches sein: Die knapp vier Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei werden für ihn angesichts der dramatisch schlechten ökonomischen Situation in der Türkei immer mehr zur Last. Die Opposition nutzt die aggressive Stimmung gegen die Flüchtlinge, um Erdoğan unter Druck zu setzen. Oppositionsführer Özgür Özel kündigte kürzlich an, er werde Assad in Damaskus besuchen, um über eine Rückführung der Flüchtlinge zu verhandeln.
Erdoğan lud Assad daraufhin ein, nach Ankara zu kommen, um über eine Rückführung zu sprechen. Doch Assad beharrt darauf, dass zuerst die türkischen Soldaten aus Syrien verschwinden. Jetzt hat sich die irakische Regierung als Vermittler eingeschaltet. In den kommenden Tagen werden sich der türkische und der syrische Außenminister in Bagdad treffen, um ein Gipfeltreffen ihrer beiden Chefs vorzubereiten.
„Warum jetzt Frieden mit Assad?“, fragte die größte türkische Zeitung Hürriyet am Sonntag und lieferte die Antwort gleich mit: Die Gefahr eines PKK-Staats im Nordosten von Syrien sei gebannt. Und Frieden mit dem Regime von Baschar al-Assad sei die Voraussetzung für die Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“